Die Burg der Könige
Reisende, die keinem etwas Böses wollen.« Er hob die Hände in die Höhe, während er Mathis leise zuzischte: »Wenn sie uns angreifen, erschlagen wir ein paar von ihnen, bis wir genug Verwirrung gestiftet haben. Im Kampfgetümmel rennen wir dann hinüber zum Waldrand, verstanden?«
Mathis nickte zögernd und umklammerte seinen Knüppel. Immer wieder war er erstaunt, wie schnell der sonst so drollige Barde sich in einen tödlichen Kämpfer verwandeln konnte.
In der Zwischenzeit hatten die Bauern sie erreicht. Sie machten allesamt einen erschöpften Eindruck, manche trugen blutgetränkte Verbände am Kopf, an den Beinen oder Armen. In den Augen hatten sie den Ausdruck gehetzten Wilds, Mathis vermutete, dass sie die Überlebenden einer größeren Schlacht waren.
»Wer seid ihr und was macht ihr hier in der Gegend?«, schrie ein besonders großer Bauer mit einer frischen Wundnaht im Gesicht, die sich von seinem rechten Ohr bis zu seiner Lippe zog. Drohend schwenkte er seine Sense, so als wollte er jeden Augenblick damit zuschlagen.
»Wir sind einfache Pilger auf dem Weg nach Rom«, sagte Melchior so ruhig wie möglich. »Wir bitten, frei ziehen zu dürfen, so wie es das alte Gesetz vorschreibt.«
»Altes Gesetz?«
Der Riese glotzte ihn verständnislos an. Mathis erkannte, dass er nicht der Hellste war. Trotzdem schien er so etwas wie der Anführer der Bande zu sein.
»Du bist ziemlich fein gekleidet für’n Pilger«, knurrte der Bauer schließlich und deutete auf Melchiors Laute. »Und überhaupt, was willst du mit dem Ding da in Rom?«
»Ich werde vor den Portalen des Petersdoms ein Lied darüber singen, wie schwer es den Bauern im Deutschen Reich ergeht, und Gottes Beistand erflehen.«
Ein allgemeines Gemurmel erhob sich. Offenbar waren sich die Männer uneins, wie sie weiter verfahren sollten.
»Verfluchtes Rom, verfluchte Pfaffen!«, brüllte plötzlich einer von ihnen. »Dieser Mönch Luther ist jetzt unser neuer Papst. Und der Ablasshandel ist bei Todesstrafe verboten!«
»Der Ablasshandel vielleicht, aber nicht das Pilgern«, warf Melchior ein. »Ist der ehrwürdige Herr Luther nicht selbst nach Rom gepilgert?«
Das stimmte die Bauern ratlos, wieder begannen sie, miteinander zu flüstern. Schließlich war es erneut der größte der Männer, der das Wort ergriff.
»So oder so, ihr beide seid keine einfachen Leut wie unsereins«, brummte er und beäugte dabei Melchior von Tanningen. »Vor allem du nicht! Eher ein Händler oder ein Freiherr oder ähnliches Geschmeiß. Vielleicht gibt’s für euch zwei ja ein ordentliches Lösegeld. Soll sich der Ritter den Kopf zerbrechen, was wir mit euch anstellen. Also kommt schon!«
Die Männer nahmen Mathis und Melchior in ihre Mitte und trieben sie mit Tritten und Schlägen in den schattigen Buchenwald, der gleich hinter dem Feld begann. Es dauerte nicht lange, da lichteten sich die Bäume, und vor ihnen lag eine weite Ebene, die über und über mit Lagerfeuern gesprenkelt war. Jetzt, gegen Abend, sah es beinahe aus, als wäre der Sternenhimmel auf die Erde niedergekommen.
Der Rauch! , fuhr es Mathis durch den Kopf. Und ich dachte, er kommt von verbrannten Heuballen. Das ist das größte Lager, das ich je gesehen habe!
Die Männer, die in der Dämmerung an den vielen Feuern saßen, trugen fast alle die einfache graubraune Kleidung der leibeigenen Bauern. Überall wehten Fahnen im Wind, auf den meisten prangte der bäurische Bundschuh, der längst zum Symbol der Freiheitskriege geworden war. Hier und dort spielte jemand auf einer Fiedel oder pfiff eine sehnsüchtige Melodie auf einer Weidenflöte, doch zahlreiche Männer machten einen müden, grimmigen Eindruck, viele von ihnen trugen schmutzstarrende Verbände. Als Mathis und Melchior durch das Lager geführt wurden, ernteten die beiden böse Blicke.
»Hängt sie am nächsten Baum auf!«, rief einer ihnen hinterher. »Das ist Herrenpack, das sieht man gleich!«
»Halt’s Maul, du Weinsack, der Ritter soll über sie entscheiden!«, gab der große Anführer zurück. »Ihr wisst selbst, er will, dass man ihm alle Gefangenen vorführt.«
Während Mathis noch rätselte, wer mit diesem seltsamen »Ritter« gemeint sein konnte, näherten sie sich einem schlichten schwarzen Zelt in der Mitte des Lagers. Zwei bucklige, betagte Bauern hielten mit Sauspießen davor Wache.
Der Riese räusperte sich und trat nervös von einem Bein auf das andere. »Wir hab’n da zwei Gefangene, die uns vielleicht Lösegeld
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