Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
Vom Netzwerk:
bedeckten Boden. Erst dann leistete er sich einen üblen Fluch.
    »Caralho pa fodece!«
    Dieses deutsche Waldvolk war tatsächlich so ungebildet und abergläubisch, wie man immer behauptete. Allein der Anblick eines dunkelhäutigen Fremden hatte dem Alten das Herz stillstehen lassen! Caspar stöhnte und rieb sich die Schläfen. Nun war er wieder so schlau wie schon vor einer Woche, als er im Annweiler Archiv die alte Stadtrechtsurkunde gefunden hatte.
    Sein Blick fiel auf die toten Augen Kistlers, die ihn mit einem Ausdruck unbeschreiblichen Schreckens anstarrten. Auch die Hebamme war vor Angst wie wahnsinnig gewesen. Diese Deutschen waren wirklich wie Kinder, die an Spukgeschichten glaubten, weil sie außer ihrem unendlichen Wald noch nichts gesehen hatten, keine richtige Stadt, geschweige denn ein anderes Land. Dort, wo Caspar herkam, dem tiefsten Süden der bekannten Welt, lebten die Religionen friedlich nebeneinanderher. Ein Glaubensstreit, wie er jetzt im Deutschen Reich herrschte, wäre undenkbar. Und schwarzhäutige Menschen verkehrten als geschätzte Ratgeber bei Königen und Sultanen.
    Hier jedoch war er der Teufel. Caspar schmunzelte. Wie passend, da er diesen tiefen deutschen Wald doch ohnehin als Hölle empfand.
    Er musste an die letzten Worte des alten Gerbers denken, die offenbar irgendeinem Heiligen heidnischen Ursprungs galten. Selbst in der Stunde ihres Todes hielten diese Menschen an ihrem Aberglauben fest. Von einem Heiligen namens Goar hatte Caspar jedenfalls noch nie gehört.
    Oder hatte der alte Narr vielleicht etwas ganz anderes damit gemeint?
    Sankt Goar … Sankt Goar … Und nun lass mich in Frieden ziehen …
    Caspar runzelte die Stirn. Was, wenn ihm Kistler mit seinen letzten Worten ein Geheimnis verraten hatte, um nicht vom Teufel höchstpersönlich in den Höllenschlund gezogen zu werden? Konnte das sein? Auf alle Fälle sollte er mehr über diesen Sankt Goar in Erfahrung bringen.
    Noch einmal musste Caspar lächeln, während er über den Toten hinwegstieg, dessen gebrochene Augen in grenzenloser Furcht zur Decke starrten. Wie ein schwarzer Schatten verließ der Agent die Werkstatt und schlich durch die Gassen Annweilers.
    Manchmal war es durchaus von Vorteil, der Teufel zu sein.
    ***
    Agnes hielt die Hand eines sterbenden Bauern, aus dessen zerfetzter Kehle stoßweise das Blut strömte. Der Mann murmelte einige wirre Worte, zuckte noch einmal, dann wurde sein Blick leer. Über ihnen hing ein tiefgrauer Himmel, über den Schwärme von kreischenden Krähen zogen. Agnes musste daran denken, wie sie im letzten Jahr mit ihrem Falken Par­cival auf Krähenjagd gewesen war. Hundert Jahre schien das nun her zu sein, in einer anderen Zeit, in einer anderen Welt.
    Sachte schloss sie dem Toten die Augen und sah sich auf dem Schlachtfeld um. Es dämmerte bereits. Agnes hatte in letzter Zeit schon viele solche Orte gesehen, doch dieser hier war der bislang grauenhafteste. Die goldenen Ähren, die sich noch gestern bis hinüber zum Waldrand erstreckt hatten, waren allesamt niedergetrampelt. Dazwischen lagen wie große Maulwurfshügel die Toten, die Sterbenden und die Verletzten. Sie jammerten, schrien und brüllten wie Vieh, während über ihnen die schwarzen Vögel kreisten und sie mit ihrem Krächzen auszulachen schienen. Gelegentlich schwebten die Krähen auf eine Leiche herab und begannen hungrig zu picken.
    Seit zwei Wochen schon zogen Agnes, Agathe und die Hu­ren­händler mit den Landsknechten des berüchtigten Schwäbischen Bundes. Die Söldner, die sie in Kehl angetroffen hatten, waren vom Lothringer Herzog dem Bund entgegengeschickt worden. Gemeinsam sollten sie die Württemberger Bauern besiegen, die raubend und brandschatzend durchs Land zogen. Hier bei Böblingen war es schließlich zur entscheidenden Schlacht gekommen. Die Aufrührer hatten sich zunächst in einer Wagenburg verschanzt, doch die Landsknechte nahmen sie von einem benachbarten Hügel aus mit ihren Geschützen unter Feuer. Tausende Bauern waren auf der Flucht erstochen, erschlagen und niedergemetzelt worden. Wer sich in den Baumkronen versteckt hatte, den schossen die Soldaten wie einen Vogel herunter.
    »Steh nicht rum und träum! Wenn dich Barnabas so sieht, setzt es bloß wieder Prügel.«
    Agnes wandte sich zu der grauhaarigen Frau um, die humpelnd näher kam. Mutter Barbara war trotz ihrer fünfzig Jahre und ihres leicht gebückten Gangs immer noch eine re­spektvolle Erscheinung. Ihre Augen strahlten wie die einer

Weitere Kostenlose Bücher