Die Burg der Könige
liegenden Balken hindurch und war ganz plötzlich verschwunden.
»He, so wartet doch!«
Mathis eilte ihm hinterher und stand mit einem Mal vor einem kleinen staubbedeckten Altar. Auf dem Boden befanden sich einige zerkratzte Grabplatten mit dem Wappen der Familie Geyer. Eine der Platten war zur Seite geschoben. Zögernd trat Mathis näher und starrte in das finstere Loch, als plötzlich Melchiors Stimme daraus hervorhallte.
»Nun beeilt Euch schon. Oder wollt Ihr erst noch ein Gebet sprechen?«
Mathis zuckte zusammen. Er blinzelte und konnte nun am Grunde des Lochs in etwa zwei Schritt Tiefe den lehmigen Boden erkennen. Schließlich nahm er seinen ganzen Mut zusammen und sprang in die Dunkelheit. Es war keinen Augenblick zu früh, gleich darauf erschütterte ein Donner die Kapelle über ihm, weitere Balken stürzten herab und versperrten die Öffnung. Mathis duckte sich, wich ein paar herunterfallenden Steinbrocken aus, dann eilte er den niedrigen, muffig riechenden Tunnel entlang, bis er weiter vorne auf Melchior von Tanningen stieß.
»Ihr … Ihr habt von diesem Gang gewusst?«, brachte er keuchend hervor.
Der Barde zuckte mit den Schultern. »Das nicht, aber es war nicht schwer zu erraten. Ihr erinnert Euch an den Fluchttunnel von Burg Scharfenberg, den uns Agnes damals zeigte? Viele Burgen besitzen einen solchen Gang, vor allem, wenn sie keinen Brunnen haben und die Eingeschlossenen bei einer Belagerung sonst verdursten würden.«
»Aber Ihr wart nie in dieser Burg«, gab Mathis zu bedenken. »Woher wusstet Ihr also …«
»Dass sie keinen Brunnen hat?« Melchior lächelte. »Ich komme aus dieser Gegend, wie Ihr wisst. Frankens Fels ist oft zu hart zum Brunnenbohren. Ich habe deshalb einfach die Gegend rund um die Burg abgesucht, ob sich irgendwo eine versteckt liegende Quelle befindet. Und voilà …«
Der Barde blieb stehen, schob einen Teppich von herabhängendem Efeu zur Seite und gab den Blick frei auf einen kleinen, von Weiden umstandenen Tümpel, auf dem einige Seerosen schwammen. Um den Weiher erhob sich drohend düster der Wald, es ging bereits auf den Abend zu.
»Als ich Euch bei Ingolstadt aus den Augen verlor, dachte ich erst, Ihr wärt unter den vielen Tausend Toten auf dem Schlachtfeld«, sagte Melchior und trat hinaus in die frische Abendluft. »Aber dann erzählte mir einer der Bauern aus unserem Haufen, Ihr seid mit den Schwarzen gezogen. Also machte ich mich hierher auf den Weg. Und wo muss ich Euch finden? Mitten im schlimmsten Gemetzel!« Der Barde schüttelte den Kopf. »Ihr solltet wirklich mehr auf Euch achtgeben.«
Vorsichtig trat auch Mathis ins Freie und sah sich um. Das Schloss war hinter den hohen Tannen und Fichten kaum zu sehen, doch nicht weit entfernt ertönte noch immer Geschützdonner, in den sich nun das friedliche Quaken einiger Teichfrösche mischte. Noch immer zitternd schloss Mathis kurz die Augen. Er war dem Tod tatsächlich noch einmal entronnen.
»Und jetzt?«, fragte er schwach. »Was sollen wir jetzt tun?«
»Nun, was wohl?« Melchior lächelte verschmitzt. »Wenn es stimmt, was der verehrte Ritter Florian Geyer gesagt hat, dann befindet sich Agnes im Tross des Schwäbischen Bundes. Und wie es das Schicksal will, haben die Landsknechte nur wenige Meilen von hier ihr Nachtlager aufgeschlagen.« Er rückte seinen Degen zurecht und stapfte los. »Ich finde, es wird Zeit, dass wir ihnen und der edlen Dame einen Besuch abstatten.«
***
Steif wie ein Brett lag Agnes im Wagen und lauschte dem Schnarchen des Hurenhändlers neben ihr. Es klang ruhig und tief, Barnabas musste fest schlafen. Trotzdem wartete sie noch eine weitere halbe Stunde, bevor sie sich schließlich vorsichtig erhob.
Von draußen drangen die Gesänge der betrunkenen Landsknechte durch das dünne Segeltuch des Wagens, noch immer lag der Gestank von Schießpulver in der Luft. Die Schlachten bei Königshofen und Ingolstadt waren die schmutzigsten und grausamsten des gesamten bisherigen Krieges gewesen. Bis zum Horizont lagen die Toten, und wie so oft war es die Aufgabe der Frauen gewesen, Waffen, Kleidung und Schmuck der Leichen einzusammeln. Eine Arbeit, die Agnes diesmal stoisch ertrug, vor allem, weil sie wusste, dass es das letzte Mal sein würde.
Es hatte längere Zeit gedauert, bis sie ihren Plan endlich in die Tat umsetzen konnte. Barnabas selbst hatte sie vor ein paar Tagen auf die entscheidende Idee gebracht, als er nach Branntwein verlangt hatte. Gelegentlich verwendete Agnes den
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