Die Burg der Könige
vor! Ein Kind, das gleichermaßen den beiden wichtigsten, einst miteinander verfeindeten Dynastien des Reichs entstammte! Und das in dieser schweren Zeit, die noch geprägt war von den Machtkämpfen der Adligen um den deutschen Thron. Die Fürsten hätten diesen kleinen Sigmund zweifelsohne zu ihrem König gemacht. Das konnten die Habsburger nicht dulden, also schickten sie ihre Häscher aus, die junge Familie zu ermorden.«
Agnes nickte gedankenverloren. Sie war froh, auf dem klapprigen Schemel zu sitzen, da ihre Beine plötzlich weich wie Butter wurden. Noch immer hielt Mathis ihre Hand.
»Doch die drei konnten fliehen«, murmelte sie. »Auch das sah ich in meinen Träumen. Was … was wurde aus ihnen?«
Noch einmal seufzte Pater Domenicus. »Johann wurde in Speyer gefangen genommen und auf der Stelle enthauptet. Auch Constanza lief den Habsburger Häschern in die Falle. Man folterte sie und mauerte sie dann lebendig im Trifels ein. Die Habsburger kannten keine Gnade.«
»Mein Gott!«, hauchte Agnes. »Und der Knabe?«
»Blieb verschwunden. Ebenso wie die Urkunde und der Ring.«
»Verschwunden?« Mathis lehnte sich über die Tischplatte und musterte den Dekan scharf. »Was heißt das, verschwunden? Ich nehme nicht an, dass Ihr uns diese ganze Geschichte erzählt hättet, wenn das schon das Ende wäre.«
Pater Domenicus lächelte leise. »Da mögt Ihr recht haben, junger Freund. Also gut, der Knabe war nicht verschwunden. Constanza konnte ihn im letzten Augenblick zusammen mit Ring und Urkunde bei einer Annweiler Gerberfamilie verstecken. Sie verriet der Familie das Geheimnis ihrer Herkunft und bat sie, den Jungen zu schützen. Sigmund wuchs als einfacher Gerber auf. Erst als er das Erwachsenenalter erreicht hatte, erzählten ihm seine Stiefeltern von seiner Abstammung, und Sigmund erzählte es später seinem erstgeborenen Kind, und das wiederum gab das Geheimnis an sein erstgeborenes Kind weiter. Mit der Zeit zogen diese Nachkömmlinge der Staufer noch einige andere Annweiler Bürger ins Vertrauen, die ihnen helfen sollten, das Geheimnis zu hüten und sie zu beschützen. Viele Generationen lang ging das so, und um die letzten Nachfahren des Stauferkaisers entstand im Wasgau ein wahrer Mythos.« Der Dekan stand auf und richtete seinen Blick empor zur felsigen Decke, die Hände gefaltet wie zum Gebet. »Ein Mythos, der von einem kleinen Orden bewahrt wurde. Eine verschworene Annweiler Bruderschaft, die sich dem Schutz der Staufererben verschrieben hatte, gab dieses Wissen von Generation zu Generation weiter, bis einst der Tag kommt, wenn es wieder dunkel wird auf der Welt und das Reich einen wahren Kaiser braucht. Es gibt nicht wenige, die glauben, dass dieser Tag nun gekommen ist …«
Endlich schwieg der Pater, und man hörte nur noch die verhallten Schritte anderer Mönche in den weitreichenden Katakomben.
»Wo … woher wisst Ihr das alles?«, fragte Mathis schließlich stockend.
»Woher ich es weiß? Nun, Gerüchte über eine Constanza, die als Staufernachfahrin auf dem Trifels ein Kind gebar, die gab es schon lange. Doch erst seit ungefähr einem Jahr haben wir endlich Gewissheit. Ein Abgesandter jener legendären Annweiler Bruderschaft war damals bei uns, er brachte schlimme Nachrichten. Er erklärte, die Habsburger hätten nach so vielen Jahrhunderten erneut von dem so lange gehüteten Geheimnis erfahren. Schon einmal, vor ein paar Jahren, hätten sie versucht, den letzten Nachfahren Constanzas zu töten, und nun würden sie es wieder versuchen.«
Pater Domenicus schlurfte zu dem hintersten Regal, wo eine einzelne, mit einem Lederriemen verschnürte Pergamentrolle lag. Ein Siegel war daran geheftet, das den Kopf eines bärtigen Mannes zeigte. Der Dekan entrollte das Pergament und breitete das hauchdünne Leder sorgfältig auf dem Tisch aus. Leicht verwaschen, aber immer noch gut lesbar waren darauf lateinische Worte zu sehen, die sich in blutroter Farbe vom Hintergrund abhoben.
Nos Fridericus Dei gratia imperator Sacri Romani Imperii possessorem huiusce diplomatis heredem singularem ducatus Sueviae declaramus …
Agnes konnte nur die ersten Zeilen entziffern, dann überrollte sie eine Schwäche, und ihr wurde kurz schwarz vor Augen.
Wir, Friedrich, von Gottes Gnaden Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, erklären hiermit den Besitzer dieser Urkunde zum alleinigen Erben der Staufer. Sein Zeichen soll der Ring unserer Familie sein, den er als Insignie der Macht immer bei sich trägt
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