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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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nun wie in Trance. Ihre Finger kneteten das kühle Gold des Rings. »Erst kürzlich war das. Es muss der Duft des frisch gegerbten Leders in Barnabas’ Karren gewesen sein, der mich in die Vergangenheit zurückgeführt hat. Das Leder und der Rauch des Buchenfeuers …«
    »Barnabas?«, fragte Pater Domenicus verwundert. »Wer ist …«
    »Meine Eltern waren Gerber …«, fuhr Agnes fort, so als hätte sie den Dekan gar nicht gehört. In ihren Gedanken war sie nun weit, weit weg, in einer Zeit, die viele Jahre zurücklag. »Wir waren gemeinsam in unserem Karren unterwegs«, murmelte sie. »Wir … wir brachten die gegerbten Häute zum Markt in Speyer, so wie wir das immer taten. Vater hatte das Leder drei Jahre lang gebeizt, es waren gute Kalbshäute, auch Pergament für das Speyerer Bischofsarchiv war darunter. Vom Erlös hätte ich in Speyer eine neue Puppe bekommen, ich hatte sie mir so sehr gewünscht …« Agnes’ Blick ging ins Leere, ihre Stimme wurde nun lauter. »Doch dann wurden wir im Wald überfallen. Ich hörte das Galoppieren von Pferden, Schreie, Keuchen … Alles ging so schnell, unser … unser alter Knecht Hieronymus, er hat mich weggebracht. O Gott, meine Eltern!« Sie brach ab und starrte den Dekan an. »Was ist mit ihnen geschehen?«
    Pater Domenicus atmete tief durch. »Ich fürchte, es waren die Häscher der Habsburger, die sie während dieses fingierten Überfalls umgebracht haben. Zu diesem Zeitpunkt war der römisch-deutsche König Maximilian, Karls Großvater, zwar bereits zum Kaiser gekrönt worden, doch sein Thron wackelte. Vor allem Frankreich wollte sich nicht mit der zweiten Rolle in Europa zufriedengeben. Maximilian fürchtete ein Wiedererstarken der staufischen Linie. Als man von der versteckten Nachfahrin in Annweiler hörte, machten die Habsburger kurzen Prozess. Aber Ihr entkamt den Häschern im letzten Augenblick.«
    Agnes nickte. »Eine … eine alte Frau hat mich damals gerettet. Auch sie kam in meinen Träumen vor. Sie hat den Ring gesehen, den mir Mutter kurz vor ihrem Tod zugesteckt hat.« Geistesabwesend griff sie nach Barbarossas Siegelring, der sich nun kalt wie Eis um ihren Finger schmiegte. Plötzlich schien er so eng und viel zu schwer, als dass sie ihn auch nur einen weiteren Tag tragen könnte.
    »Ihr habt recht. Es war wohl eine Annweiler Hebamme, die Euch im Wald entdeckte«, erwiderte der Dekan leise. »Glücklicherweise war auch sie ein Mitglied der Bruderschaft. Euer Zusammentreffen muss eine Fügung Gottes gewesen sein! Sie händigte den Ring dem Orden aus und brachte Euch vor die Tore des Trifels, des einzigen Orts, von dem sie glaubte, er sei sicher genug für Euch.«
    »Aber wenn der Ring wieder in den Händen des Ordens war«, meldete sich nun Mathis, der ebenso wie Melchior von Tanningen bislang verblüfft zugehört hatte, »wie kam er dann zurück zu Agnes?«
    Pater Domenicus seufzte. »Auch das hat uns der Annweiler Bote erzählt. Als die Habsburger letztes Jahr erneut ihre Häscher ausschickten, bekam es diese Hebamme offenbar mit der Angst zu tun. Sie wollte den Ring loswerden. Als Agnes’ Falke dann bei ihr auftauchte, empfand sie dies als einen Wink des Schicksals …«
    »Und steckte den Ring an Parcivals Klaue!«, ergänzte Mathis aufgeregt. Er wandte sich an Agnes und drückte ihre Hand. »Jetzt wissen wir wenigstens, warum du seit diesem Zeitpunkt immer diese vermaledeiten Träume hattest. Der Ring hat dich wieder an deine frühe Kindheit erinnert! Vermutlich hat dir deine Mutter damals die Geschichte von Constanza und Johann erzählt.«
    Agnes schwieg. Sie erinnerte sich plötzlich an Melchiors Ballade, die dieser nach ihrem Aufbruch vom Trifels gedichtet hatte.
    Ein Ring war’s, den das Fräulein fand, von, ach!, Con­stanzas bleicher Hand; der Ring bracht’ manchen bösen Traum …
    Es war, als würden mit den Zeilen längst vergessene Reime und Geschichten zu ihr heimkehren. Ihre Leidenschaft für Ritter und Burgfräulein, für die Abenteuer von König Artus, Lancelot, Gawain und die anderen tapferen Recken – all das waren Gestalten, die ihre Wurzeln in Agnes’ Kindheit hatten, von denen ihr die Mutter einst erzählt hatte. Wieder gingen ihre Gedanken zurück in ein fernes nebliges Land …
    Ich liege in meinem Bett, die warme Decke bis zum Kinn gezogen, draußen pfeift der Wind um die Häuser Annweilers. Erzähl mir von Constanza, Mutter! Erzähl mir, wie sie den schönen Johann das erste Mal im Rittersaal getroffen hat! Erzähl mir

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