Die Burg der Könige
…
»Der Annweiler Bote brachte uns diese Urkunde«, hörte Agnes den Pater wie durch einen dicken Wandteppich hindurch weitersprechen. »Enzio selbst gab sie damals zusammen mit dem Ring der kleinen Constanza mit, um ihre Herkunft zu beweisen. Die Bruderschaft bewahrte das Dokument später für den jeweiligen Ringträger auf, um ihn nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Seit jener Zeit wird in der Urkunde auch der fortlaufende Stammbaum mit dem jeweils Erstgeborenen verzeichnet. Daraus geht hervor, wer dieser rätselhafte Nachfahre ist, den die Habsburger nun schon zum zweiten Mal versuchen umzubringen. Der Bote nannte uns den Namen und sagte, sollte diese Person oder einer ihrer Erben jemals nach Sankt Goar kommen, dürften wir ihr das ganze Geheimnis verraten, wenn sie das Erkennungszeichen bei sich trage. Einen Gegenstand, der ebenso wie das Dokument von Generation zu Generation weitergegeben wurde.« Der Pater lächelte und reichte den Ring nun endlich zurück an Agnes, die starr und leblos auf ihrem Schemel kauerte. Dann kniete er vor ihr nieder und senkte das Haupt. Erst jetzt bemerkte Agnes wie durch einen Schleier, dass auch andere Mönche durch die angelehnte Tür in den Raum getreten waren und vor ihr auf die Knie sanken.
»Seid gegrüßt, Agnes von Erfenstein, Freifrau aus dem Geschlecht der Staufer, letzte legitime Nachfahrin Barbarossas«, sagte der Dekan mit knarrender Stimme. »In der Männerkleidung und mit dem kurzen Haarschnitt hätte ich Euch beinahe nicht erkannt. Nun ist die Zeit gekommen, in der das Deutsche Reich Eure Hilfe braucht.«
Während Caspar zügig und mit wehendem Mantel auf das Chorherrenstift zuschritt, musterte er aus dem Augenwinkel den von der Sonne beschienenen Marktplatz. Ein junges Paar zog lachend an ihm vorüber, ohne ihn zu beachten, unter einer Linde saß ein alter Scherenschleifer vor seinem Schleifstein und döste in der Mittagshitze, von fern waren gedämpft die Rufe einiger Schiffer zu vernehmen. Kein Mensch beachtete in diesem Augenblick die Kirche. Caspar lächelte. Der Zeitpunkt war gut gewählt, denn zufällige Augenzeugen konnte er nicht brauchen. Er hatte nur zwei Schuss frei, danach müsste er sich auf seinen Säbel verlassen.
Nachdem er sich ein letztes Mal umgesehen hatte, öffnete er das Kirchenportal und betrat das kühle Gebäude. Sein Blick wanderte über das Haupt- und die zwei Seitenschiffe, über den Altarraum und den Chor, doch nirgendwo war jemand zu sehen. Hatten die drei die Kirche etwa schon wieder verlassen? Hektisch sah Caspar sich um, konnte aber keinen weiteren Ausgang entdecken; außerdem war er nach wie vor fest davon überzeugt, dass sich die Person noch im Kloster befinden musste. Hier war das Ende ihrer Reise, und zwar für sie beide.
Vorsichtig schlich Caspar durch das Hauptschiff, bis er weiter vorne eine Treppe entdeckte, die in die Tiefe führte. Sie endete in einer durch schmale Fenster nur spärlich erhellten Krypta mit einem Hochgrab in der Mitte.
Von seinen drei Widersachern war keine Spur zu entdecken.
Caspar stieß einen gezischten Fluch aus und wollte sich soeben wieder nach oben begeben, als er plötzlich Schritte und gedämpfte Stimmen hörte. Es war ein feines, fast nicht wahrnehmbares Gewisper.
Und es schien direkt aus der Wand zu kommen.
Argwöhnisch blickte Caspar sich um. Spielten ihm seine Sinne etwa einen Streich? Hörte er schon Gespenster? Nach kurzem Zögern eilte er die Treppe wieder hinauf und sah nun, dass eine niedrige, schmale Tür zur Rechten einen Spaltbreit offen stand. Er musste sie vorher in der Eile übersehen haben. Dahinter befand sich eine Kapelle, an deren Wänden und im Boden Grabplatten eingelassen waren. Aber auch hier herrschte gähnende Leere.
Nachdenklich schritt Caspar die Platten ab, als etwas unter seinen Füßen knirschte. Er bückte sich und ertastete mit seinen Fingern winzige Erdkrumen, die von dem Platz draußen vor der Kirche stammen mussten. Die Krumen befanden sich direkt unterhalb einer der Platten, die einen Geistlichen mit Abtsstab und einem seltsamen Kasten in Brusthöhe zeigte.
Caspar ging zu einer der Fackeln an der Wand, ergriff sie und untersuchte den Boden genauer. Jetzt konnte er auch eine halbkreisförmige Schleifspur unterhalb der Grabplatte ausmachen. Irgendetwas Schweres hatte sich hier offenbar in den Fels gefressen, und zwar nicht nur einmal, sondern öfter.
Was zum Teufel …
Mit routiniertem Blick betrachtete der Agent den Mann auf der Platte
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