Die Burg der Könige
als erwartet. Die Burg hatte in früheren Zeiten tatsächlich eine äußerst wichtige Rolle im Reich gespielt. Meinhart fand Notizen über den sogenannten Normannenschatz, den Kaiser Heinrich VI. von einem Feldzug gegen Sizilien auf den Trifels gebracht hatte, außerdem gab es eine Liste der sogenannten Reichskleinodien, hochheilige Krönungsinsignien, die einst auf der Reichsburg aufbewahrt wurden. Viel Zeit verbrachte Meinhart mit dem Lesen einer Akte, die von der Gefangenschaft des Kölner Bischofs Bruno von Sayn auf dem Trifels berichtete. Der Bischof war ein Anhänger der Welfen gewesen, die gemeinsam mit den Staufern einst zu den mächtigsten Herrschaftsgeschlechtern im Reich gehörten. Im Kampf um die Kaiserkrone hatten sich Staufer und Welfen über mehrere Generationen hinweg bekämpft. Und der Trifels war ein ständiger Zankapfel zwischen den beiden Parteien gewesen.
Erleichtert und zufrieden mit seiner Arbeit kehrte Johannes Meinhart schließlich mit einem Berg Akten unter dem Arm in die Schreibstube zurück. Dort saß der Fremde noch immer wie ein dunkler Monolith im Sessel. Er hatte die Augen geschlossen, doch als Meinhart auf ihn zutrat, klappten sie ganz plötzlich auf.
»Und? Seid Ihr fündig geworden?«
Meinhart nickte beflissen. »Diese Burg ist weitaus interessanter, als ich bislang wusste. Eigentlich schade, dass der jetzige Vogt sie so verkommen lässt. Die Siegel zeigen, dass die einflussreichsten Herrschaftshäuser sich seit jeher um die Gegend bemüht haben. Salier, Staufer, Welfen, Habsburger … Ich frage mich, warum …«
»Ich habe Euch nicht gebeten, Fragen zu stellen, sondern allein darum, mir Auskunft zu erteilen. Habt Dank für Eure Bemühungen.« Der Fremde riss dem verdutzten Sekretarius die Akten aus der Hand und begab sich zur Tür.
»Aber das sind wertvolle Unterlagen!«, rief ihm Meinhart nach. »Ihr könnt sie nicht einfach so mitnehmen. Quittiert mir wenigstens den Empfang!«
Noch einmal drehte sich der Fremde um. Als er lächelte, leuchteten seine Zähne weiß wie das Mondlicht. »Ich glaube, das ist nicht nötig«, entgegnete er. »Oder habt Ihr etwa den Befehl des Herzogs vergessen? Ich handle nur in seinem Auftrag.«
Wie ein Spuk war er verschwunden, und Meinhart fragte sich, ob der Mann nicht doch eines jener Gespenster gewesen war, von denen man sich zurzeit in Speyer erzählte. Aber dann fiel sein Blick auf den herzoglichen Brief, der noch immer auf seinem Schreibtisch lag. Nun, falls er ein Geist gewesen war, dann hatte man ihn immerhin von höchster Stelle gesandt.
Erneut studierte Meinhart die hastig hingeworfenen Zeilen, dann betrachtete er das zerbrochene Siegel des Zweibrückener Herzogs, das er vorhin in seiner Angst gar nicht richtig beachtet hatte.
Es zeigte den Kopf eines Mohren mit herausgestreckter Zunge.
Was in aller Welt …
Fluchend rannte Johannes Meinhart zum Fenster und spähte hinaus in die Nacht. Direkt unter ihm huschte ein Schatten über den Platz hinüber zum Dom und verschwand zwischen den Häusern. Der Sekretarius glaubte von irgendwoher ein leises, fast nicht mehr wahrnehmbares Lachen zu hören.
Mit einem leisen Schaudern schloss Meinhart das Fenster und beschloss, dass er die letzten Stunden nur geträumt hatte.
Das bewahrte ihn zumindest vor einem Haufen unangenehmer Fragen.
KAPITEL 3
Annweiler, 24. März, Anno Domini 1524,
am späten Morgen
athis roch die Stadt, lange bevor er sie sah. Bei Westwind war der Gestank besonders schlimm, und es dauerte immer einige Zeit, bis er sich daran gewöhnt hatte. Der süßliche Geruch von verfaultem Fleisch mischte sich mit Mist, Holzfeuer und den ätzenden Ausdünstungen der Gerblohe, die durch das Einkochen von Eichenrinde gewonnen wurde. Es war der Geruch von Annweiler, und Mathis liebte ihn, weil er nach dem stillen Dasein auf der Burg das laute, bunte Leben versprach.
Über die Schlossäcker war es zunächst steil durch den Wald hinabgegangen, entlang eines alten Fuhrwegs, der kaum noch benutzt wurde. Er traf auf eine breitere Straße, wo der Schlamm teilweise knietief stand. Als Mathis schließlich eine Biegung der an manchen Stellen noch immer vereisten Landstraße passiert hatte, tauchte endlich das kleine Städtchen Annweiler unter ihm auf. Wie eine große graue Wolke hing Kaminrauch über den Häusern, die von einer acht Schritt hohen, an einigen Stellen bereits verfallenen Festungsmauer umgeben waren. Ein kleiner Bach trieb eine Vielzahl Mühlräder an, die im Licht der
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