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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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jemand mit diesem Ring eine Nachricht zukommen lassen wollte? Aber welche?
    Wie ein kleines Tier glitt das warme Gold durch ihre Hände. Der Ring fühlte sich gut an. Sie schob ihn sich auf den Finger, er passte wie angegossen. Ganz so, als wäre er für sie gemacht.
    Seufzend ließ Agnes sich zurückfallen, zog die warme Wolldecke bis zum Hals und schloss die Augen. Während ihr Blut unter dem Ring pochte, beruhigte sie sich langsam. Ihr Herz schlug langsamer, und schon nach wenigen Minuten war sie eingeschlafen. Sie träumte wirr von Falken und Krähen, von einer donnernden Explosion und von Strömen von Blut, die sich auf ihr zerrissenes weißes Kleid ergossen. Doch ganz plötzlich verschwanden all diese Eindrücke. Während Agnes im Schlaf murmelnd nach dem Ring an ihrem Finger griff, kamen Bilder wie Wellen, die sie mit sich nahmen und an die Gestade eines fernen Landes spülten. So deutlich und machtvoll waren die Traumgesichte, wie sie es noch nie zuvor empfunden hatte.
    In dieser Nacht erlebte sie zum ersten Mal …
    … eine leise Musik, die mehr und mehr anschwillt, bis sie wie Glockenschläge in den Ohren hallt. Der Klang von Schellen, Drehleiern und Schalmeien, getränkt mit dem Lachen vieler Menschen, dem rhythmischen Stampfen Dutzender Füße. Ein Barde singt dazu ein altbekanntes Lied.
    »Unter der Linden, an der Heide, da unser zweier Bette war …«
    Agnes blickt auf, sie ist in einem hohen Saal mit aufgebockten, nach Harz duftenden Tischen, an denen Frauen und Männer in langen bunten Gewändern sitzen. Es sind die gleichen Gewänder, die auch in Agnes’ Falkenbuch zu sehen sind – weite, hermelinbesetzte Schlupfkleider, darunter enge Beinlinge in verschiedenen Farben. Die Haare der Anwesenden, egal ob Frau oder Mann, sind lang, manches Haupt ziert ein Reif aus Silber oder ein Blumenkranz. In den Händen halten die Gäste schwere ziselierte Pokale, aus denen der Wein auf die mit Bratensaft befleckten Tische spritzt. Unter lautem Gejohle wird von vier Dienern ein gebratener Schwan hereingetragen; vorne am offenen Kamin stehen die Musikanten und spielen eine Melodie, die sich wie ein Karussell immer und immer wieder im Kreis dreht.
    »Unter der Linden, an der Heide, da unser zweier Bette war …«
    Als Agnes sich umsieht, erkennt sie staunend den Kamin, die spitze Form der Fenster, die Sitznischen an den Wänden, die mit kostbarem Pelz bedeckt sind, die Steinskulpturen, die spöttisch von der Decke auf sie herabgrinsen.
    Dies ist die Burg ihres Vaters, der Trifels.
    Mehr noch: Es ist der echte Trifels, die Kaiserburg! Nicht die düstere Ruine, durch die der Wind pfeift und in deren Mauerlöchern die Schwalben und Tauben nisten. Hier treffen sich Kaiser und Könige, hier spielt die Musik immerwährend zum Tanz auf, von hier aus ziehen Ritter in große Schlachten. Agnes verspürt eine heftige Sehnsucht, nur zu gern würde sie für immer hierbleiben, so als wäre die andere Agnes in dem öden Steinhaufen mit seinen zugigen Löchern und verfallenen Mauern nichts weiter als eine Traumgestalt.
    Ist es vielleicht so?, denkt sie mit einem Mal. Ist das hier die Wirklichkeit?
    Gerade will Agnes zur Probe eine der mit Blumen bekränzten Frauen neben sich berühren, als plötzlich ein junger Mann den Saal betritt. Die Menschen verstummen. Im Gegensatz zu den anderen Männern trägt der Jüngling ein Panzerhemd, das an den Ellbogen und den Schultern mit Eisenplatten verstärkt ist. Ein langes Schwert hängt an seiner Seite, er geht damit ein wenig unsicher, als wäre er die schwere Last nicht gewohnt. Die Gäste prosten ihm zu, und er verneigt sich unsicher lächelnd. Dabei stößt er mit der Schwertspitze einen der Pokale vom Tisch, woraufhin leises Gelächter aufbrandet.
    Da tritt ein breit gebauter grauhaariger Mann neben den Jüngling und hebt die Hand. Sanft fasst er den Jungen an den Armen und drückt ihn zu Boden, bis dieser vor ihm kniet. Der Alte nimmt das Schwert des jungen Mannes und berührt seine Schultern, während er fremdartige Worte spricht; Worte, die Agnes an eine Zauberformel erinnern.
    »Hie besser ritter danne knecht …«
    Der Jüngling hat ein schmales, fast asketisches Gesicht wie ein junger Mönch, sein Haar ist pechschwarz, die Augen schimmern wie zwei grüne Tümpel.
    Plötzlich schaut er Agnes an und lächelt ihr zu. Es ist das Lächeln eines Knaben, der auf der Schwelle zum Mannsein steht.
    »Unter der Linden, an der Heide, da unser zweier Bette war …«
    Agnes spürt, wie ihr ein

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