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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Gerberhandwerk lebte. Stadtmauer und Häuser verfielen. Die reichen Händler machten schon lange einen Bogen um die matschigen Gassen und gingen lieber nach Speyer oder Worms.
    Während Mathis am Mühlbach entlang zum Gasthaus schlenderte, kreisten seine Gedanken um Agnes. Er hatte sie in den letzten Tagen kaum gesehen. Die Arbeit war einfach zu viel gewesen, und wann immer er für ein kurzes Päuschen hinauf in die Burg schleichen wollte, war seinem Vater noch etwas eingefallen. Mathis hatte ständig damit gerechnet, dass der Burgvogt ihn wegen der gestohlenen Arkebuse zu sich rufen würde, doch er hatte den Verlust wohl noch nicht bemerkt. Und Agnes selbst hatte ihn seit dem merkwürdigen Vorfall im Wald nicht mehr besucht. An diesem Abend, als sie den Ring an der Klaue des Falken gefunden hatte, war sie ihm so seltsam verschlossen vorgekommen.
    Immer noch grübelnd erreichte Mathis endlich das Wirtshaus, das am Ende einer schmalen Gasse direkt an der Stadtmauer lag. Genau wie die umstehenden Gebäude war es ein weiß getünchtes Fachwerkhaus, das einst herrschaftlich gewesen war. Nun aber blätterte die Farbe ab, und es stand ein wenig schief, so als hätte ein Sturm zu fest daran geblasen. Der »Grüne Baum« war eine von drei Tavernen der Stadt. Da er sich in der Nähe des Mühlbachs befand, kehrten hier vor allem die Gerber ein, die in Annweiler die größte Zunft bildeten; aber auch ein paar der wohlhabenderen Weber und Tuchmacher ließen sich gelegentlich dort blicken, um ihre Geschäfte abzuschließen. Auf einem kleinen Platz vor dem Haus stand eine hohe, weit ausladende Linde, von ihr hatte die Taverne den Namen.
    Nachdem Mathis ein paarmal vorsichtig geklopft hatte, ging die Tür endlich einen Spalt auf, und das grimmige Gesicht von Diethelm Seebach war zu sehen. Als der Gastwirt Mathis erkannte, nickte er erleichtert.
    »Ach, du bist es nur!«, brummte er. »Hab schon gedacht, die Büttel statten mir einen Besuch ab wegen der Biersteuer. Der verfluchte Stadtvogt hat sie schon wieder angehoben, und ich weigere mich zu zahlen. Soll er mich doch vors Stadtgericht zerren, er wird schon sehen, was er davon hat!« Ungeduldig winkte er Mathis zur Tür herein. »Nun komm schon, der Jockel hat dich bereits angekündigt. Die anderen warten im Hinterzimmer.« Nur beiläufig warf er einen Blick in den Sack, den Mathis ihm reichte, und stellte ihn dann in eine Ecke. »Ach ja, die Nägel und Axtblätter, hab ich ganz vergessen. Ich zahl sie dir später. Jetzt stell ich dir erst mal die anderen vor.«
    Diethelm Seebach führte Mathis durch die niedrige, muffige Gaststube, die sich nach dem Kirchgang erst allmählich füllte. Ein paar zahnlose Alte saßen bei einem Schoppen Wein und dösten vor sich hin, von irgendwoher kam gedämpftes Stimmengewirr. Als Seebach die Tür zum Hinterzimmer öffnete, waren die Stimmen plötzlich klar und deutlich zu vernehmen. Mathis blickte in einen Raum, wo an einem großen verwitterten Eichentisch wohl über ein Dutzend Männer saßen und wild debattierten. Er erkannte ­einige der Gerber, aber auch den Seiler Martin Lebrecht und den reichen Wollweber Peter Markschild. Sogar der Apotheker Konrad Sperlin war dabei – ein kleines Männlein mit Brille und ausgebleichtem Barett, der als einer der wenigen in Annweiler lesen und schreiben konnte.
    Vor allem aber sah Mathis den Schäfer-Jockel.
    Geduckt saß er am Kopf des Tisches, ein drahtiger Mann mit langen schwarzen Haaren, die er zu einem Zopf nach hinten gebunden hatte. Sein sehniger Oberkörper pendelte nervös hin und her; ein kleiner Buckel thronte auf seiner rechten Schulter, was ihn ein wenig wie einen bösen Hofnarren aussehen ließ. Mit seinem dünnen Bart, dem zerrissenen Leinenhemd und den abgeschabten Beinlingen aus Rindsleder glich der Schäfer-Jockel im Vergleich zu den Handwerkern um ihn herum einem Bettler. Trotzdem waren die Männer mucksmäuschenstill, als er nun das Wort ergriff.
    »Letzte Woche war ich auf Wanderschaft drüben beim Eußerthaler Kloster«, hob er an. Seine Stimme klang leise und trotzdem durchdringend, fast wie ein weicher Flötenton; sie war seine Waffe, und er wusste sie gekonnt einzusetzen. »Hab dort meine Schäflein grasen lassen, ihr wisst, es gibt dieses Jahr nicht viel zu fressen für sie. Und auf einmal dringt mir da ein Geruch in die Nase, nach Geselchtem und Gebratenem, nach Würsten und Speck. Ich denk, ich träum!« Jockel lachte, es klang beinahe wie das Lachen eines Kindes. Doch dann

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