Die Burg der Könige
bekam seine Stimme wieder etwas Schneidendes, fast Bedrohliches. »Da seh ich durch ein Klosterfenster, wie die Pfaffen dem fetten Abt die Schüsseln reintragen, bis oben hin voll mit Fleisch, so üppig, wie’s unsereins nicht mal zur Kirchweih bekommt. Fleisch von euren Kühen, von euren Schweinen, während ihr nicht mal wisst, wie ihr über den nächsten Winter kommen sollt. Und am Galgen hängt ein Kind, dessen einziges Verbrechen es war, ein Reh geschossen zu haben! Ich frage mich, ist das gerecht? Sagt, Männer, ist das gerecht?«
Die Handwerker murrten und brummten zustimmend. So gebannt waren sie von Jockels Rede, dass sie erst jetzt den Kopf hoben und Diethelm Seebach gemeinsam mit Mathis in der Tür stehen sahen.
»Das ist der Mathis«, sagte Seebach väterlich, als er die argwöhnischen Blicke der Männer bemerkte. Er klopfte dem Jungen auf die Schulter. »Der Sohn vom Trifelser Burgschmied, ihr kennt ihn sicher alle. Er …«
»Was sollen wir mit dem Jungspund?«, unterbrach ihn der Gerber Nepomuk Kistler, ein alter grauhaariger Mann, der als Vorsitzender seines Stadtviertels im Annweiler Rat saß. Seine Stimme war tief und befehlsgewohnt, seit Jahrzehnten schon kümmerte er sich um die Belange der Gemeinde. »Das hier ist Männersache, Diethelm! Außerdem – wer sagt, dass der Bursche nicht heute noch zum Burgvogt rennt und ihm von unserem Treffen erzählt?«
»Der Kistler hat recht«, meldete sich nun der Wollweber Peter Markschild, ein weiteres Ratsmitglied. Sein rotes, aufgedunsenes Gesicht bewies, dass er wohl schon den einen oder anderen Schoppen Wein intus hatte. »Eine Schnapsidee, den Jungen hierher einzuladen. Wirf ihn raus, Seebach!«
»Der Junge bleibt hier. Ich selbst hab ihn eingeladen.« Die Stimme des Schäfer-Jockel war sanft und leise, trotzdem zuckte der Weber zusammen.
Mathis musste daran denken, wie schrill diese Stimme vor einigen Tagen am Queichhambacher Galgenhügel geklungen hatte. Der Schäfer hatte wirklich die Gabe, Menschen mit Worten zu bezaubern.
»Aber … aber …«, stammelte Peter Markschild. »Was soll das, Jockel? Der Bub könnte zu einer Gefahr werden. Wenn er zum Burgvogt geht, dann …«
»Was soll er ihm groß sagen? Dass sich ein Haufen anständiger Männer jeden Sonntag im Wirtshaus trifft und miteinander redet?« Jockel schüttelte den Kopf. »Wir haben uns viel zu lange von denen da oben einschüchtern lassen. Das Reden kann man uns nicht verbieten.«
Er lächelte schmal und wies Mathis den Stuhl neben sich zu. Einmal mehr sah Mathis, dass der Jockel an der rechten Hand nur noch drei Finger hatte. Die zwei Schwurfinger hatten ihm die Schergen des Herzogs vor Jahren abgehauen, weil er sich bereits damals aufrührerischen Bauern angeschlossen hatte. »Der Mathis ist ein schlauer Kerl, das weiß ich«, fuhr der Jockel milde fort. »Der wird uns noch mal nützlich sein. Vertraut mir.«
Mit hochrotem Kopf setzte sich Mathis neben den Schäfer, der ihm nun auf die Schulter klopfte.
»Der Bub weiß, was auf der Burg gesprochen wird, und sperrt die Ohren für uns auf. Wenn der Herzog oder meinethalben auch der Speyerer Bischof etwas gegen uns einfaches Volk plant, dann wird es der Trifelser Burgvogt als einer der Ersten erfahren. Und schon bald darauf wir. Nicht wahr, Mathis? Du wirst unser Mäuschen sein.«
Mathis nickte schweigend und rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Zum ersten Mal hatte er den Schäfer-Jockel vor gut einem Jahr mit seinen Schafen unten auf den Wingertsberger Talwiesen getroffen. Seitdem waren sie sich vielleicht ein Dutzend Mal begegnet. Es war der Jockel gewesen, der ihm als Erster von einem gewissen Martin Luther erzählt hatte, jenem ehemaligen Mönch und Gelehrten, der die Bibel vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt hatte und seit Jahren gegen den Ablasshandel predigte. Auch durch Annweiler waren die Pfaffen noch vor kurzem gezogen und hatten gegen Geld die Vergebung aller Sünden versprochen.
Mit seiner sanften, schmeichelnden Stimme hatte der Jockel Mathis von der wachsenden Ungerechtigkeit im Reich erzählt, davon, dass die Abgaben immer höher wurden und die Pfaffen und der hohe Adel in Saus und Braus lebten. An anderen Tagen wetterte er gegen die Leibeigenschaft, die die Bauern zu Sklaven machte und ihnen nicht einmal erlaubte, ihre Kinder ohne Erlaubnis des Fronherrn zu verheiraten. Sogar wenn die Bauern starben, hatten ihre Witwen den Rittern, Grafen und Herzögen dafür noch zu zahlen!
Mathis war nicht
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