Die Burg der Könige
Morgensonne silbrig funkelten. Eben läutete die Stadtkirche das Ende der Messe ein, leises Gelächter und Stimmengewirr drangen bis zu Mathis herauf. Er atmete noch einmal tief durch, dann warf er sich den schweren Sack voll mit Zimmermannsnägeln und Axtblättern über die Schulter und eilte dem Tor entgegen.
Mathis war unendlich froh, dass sein Vater ihm die Erlaubnis gegeben hatte, hinunter nach Annweiler zu gehen. Die letzten beiden Tage hatte der Alte ihn in der Schmiede ordentlich schuften lassen. Nägel waren zu schmieden gewesen, aber auch Hufeisen, Messer und etliche Werkzeuge. Mathis hatte alles klaglos ertragen, damit sein Vater nur keinen Vorwand fand, ihm den Ausflug zu verbieten. Heute Morgen war er dann nach ein paar hastigen Löffeln Gerstenbrei endlich aufgebrochen.
Der Annweiler Gastwirt Diethelm Seebach hatte bei den Wielenbachs eine größere Bestellung aufgegeben. Schon vor gut zwei Wochen war es Mathis gelungen, seinen Vater zu überreden, dass er die wertvollen Waren selbst in die Stadt bringen durfte. Dass es nun ausgerechnet ein Sonntag war, schien Hans Wielenbach nicht weiter zu verwundern, aber Mathis hatte peinlich darauf geachtet, dass sie genau am Vorabend fertig wurden – auch wenn er dadurch seinen freien Tag opfern musste. Schließlich war er vom Schäfer-Jockel persönlich eingeladen worden, eine Ehre, die Mathis noch immer die Brust schwellen ließ, wenn er daran dachte. Zwar hatte Jockel mit ihm schon öfter über die Not der Bauern gesprochen, doch waren sie dabei meist allein und auf offenem Feld gewesen. Heute sollte Mathis zum ersten Mal an einer der geheimen Annweiler Versammlungen teilnehmen.
Trotz aller Vorfreude nagte an ihm die Angst, bei dem verbotenen Treffen entdeckt und den Stadtbütteln ausgeliefert zu werden. Mathis mochte sich gar nicht ausmalen, was sein Vater, aber vor allem der Burgvogt mit ihm dann anstellen würden.
Nach einer weiteren Viertelstunde hatte er endlich das steinerne Untertor erreicht, vor dem im kühlen Wasser des Stadtgrabens ein paar Karpfen gemächlich im Kreis schwammen. Ein gelangweilter Wachmann kauerte auf einer Bank neben der Pforte und ließ sich die Frühlingssonne ins Gesicht scheinen.
»Na, Mathis«, brummte der Büttel, während er ungeniert in der Nase bohrte, »wie geht’s deinem Alten? Hab gehört, das Schnaufen macht ihm immer noch zu schaffen?«
Mathis nickte und bemühte sich, möglichst gelassen zu antworten. »Danke, es geht schon wieder. Er ist jedenfalls so gesund, dass er mir Arbeit für drei aufhalsen kann.« Grinsend hob er den schweren Beutel hoch und klimperte damit. »Nägel und Axtblätter für den Wirt vom ›Grünen Baum‹, die soll ich ihm vorbeibringen. Der Seebach will das Dach nun endlich flicken lassen.«
»Wird wohl das Beste sein, du beeilst dich. Das Gasthaus bricht ja schon zusammen, wenn ich nur laut niese.«
Der Wachmann lachte meckernd, dann öffnete er das kleine Einmanntor im rechten Türflügel des Stadttors und ließ Mathis ein.
»Sag der Agnes einen schönen Gruß!«, rief der Büttel ihm noch hinterher. »Hat mit den Krähen vor ein paar Tagen ihre Sache gut gemacht. Die Biester sind tatsächlich weniger geworden!« Er kicherte. »Na ja, bis auf die am Galgenhügel, da gibt’s noch immer genug zum Picken.«
»Ich … ich richt’s ihr aus, wenn ich sie sehe.« Mathis wandte sich noch einmal kurz um, dann ging er mit klopfendem Herzen durch die von Kot und Unrat übersäte Gasse zum Mühlbach. Der Geruch nach Leder und Gerbsäure war nun so stark, dass er ihn wie ein Mantel einhüllte. Bald schon tauchte der künstliche Bachlauf auf, in dessen trübem Wasser sich quietschend etwa ein Dutzend Mühlräder drehten. Einige Gerber wuschen darin ihre mühsam gewonnenen Lederhäute und hängten sie dann auf Holzgerüsten zum Trocknen in die Sonne. Lachend ließen ein paar mit Dreck verschmierte Kinder kleine Schifflein auf den Wellen treiben, andere halfen ihren Müttern beim Abschaben der Häute. Ein besonders mutiger Knabe balancierte auf Pflöcken und Stegen über dem eiskalten Wasser.
Mathis musste daran denken, wie prachtvoll die freie Reichsstadt Annweiler einst gewesen war. Kaiser Friedrich der Staufer persönlich hatte ihr vor vielen Hundert Jahren das Münzrecht verliehen. Doch ebenso wie der Trifels war auch Annweiler mittlerweile in Vergessenheit geraten, nun war die Stadt nicht mehr als ein größeres Dorf, das dem Herzogtum Zweibrücken tributpflichtig war und vom stinkenden
Weitere Kostenlose Bücher