Die Burg der Könige
der Einzige, dem der Schäfer-Jockel so zuredete. Im Lauf der Jahre hatte der wandernde Geselle, der in einem Kastenwagen mit seiner Herde die Täler und Lichtungen des Wasgaus bereiste, eine immer größere Gemeinde um sich geschart. Seit kurzem erst waren ihm nun auch viele aus der Annweiler Bürgerschaft verfallen, weil auch sie unter den Tributzahlungen an das Herzogtum Zweibrücken litten. Die Sonntage im »Grünen Baum« waren zu einem festen Treffpunkt für alle Unzufriedenen geworden. Unter dem Vorwand eines Frühschoppens wurde dort heimlich über Religion und Politik debattiert.
»Wir haben eben davon geredet, dass der Annweiler Stadtvogt den Mahlzins schon wieder erhöht hat«, wandte sich der Jockel an Mathis. »Bald bekommen die Bauern für ihre Körner gar kein Mehl mehr und müssen am Ende noch draufzahlen! Was meinst du, Mathis? Sollen wir uns das noch länger gefallen lassen?«
Mathis spürte, wie die Blicke der älteren Männer plötzlich alle auf ihm ruhten, und das Blut schoss ihm in den Kopf. »Man sollte …«, begann er stockend. »Man sollte dem Kaiser einen Bittbrief schicken. Ich bin sicher, er weiß von alldem nichts. Er kann schließlich nicht wollen, dass seine Untertanen verhungern.«
Jockel neigte den Kopf, als würde er nachdenken. Dabei bewegte sich sein Buckel wie ein atmendes Tier. »Den Kaiser rufen, mmmh …«, begann er leise. »Kein schlechter Gedanke. Aber weißt du was? Der Kaiser hat schon lange nicht mehr das Sagen im Reich. Schon der gute Kaiser Maximilian hatte nichts zu melden, und sein frisch gewählter Enkel Karl schon gleich dreimal nicht! Der sitzt irgendwo am anderen Ende der Welt, dort, wo die Mohren wohnen. Soviel ich weiß, spricht das verwöhnte Jüngelchen nicht mal unsere Sprache.« Ein paar der Männer lachten, und der Jockel fuhr lächelnd fort: »Nein, nein, nicht der Kaiser regiert. Die Kurfürsten haben das Land unter sich aufgeteilt und ihren Herzögen, Grafen und Bischöfen jeweils ein Stück davon abgegeben. Und die wiederum geben es ihren Rittern und Freiherren, die fröhlich feiern und auf die Jagd gehen. Und ganz unten steht der Bauer, der einfache Mann, und soll die Zeche zahlen!« Wütend sah er sich um. »Denkt immer daran, was die englischen Bauern schon vor Hunderten von Jahren gesagt haben: ›Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?‹ Wir dürfen uns das nicht mehr länger gefallen lassen!«
Der Apotheker Sperlin räusperte sich und rückte seinen Zwicker gerade. »Du magst recht haben, Jockel. Aber was sollen wir dagegen ausrichten? Kämpfen etwa?« Er schüttelte missmutig den Kopf. »Die hohen Herren gebieten über Geld und Waffen. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben.«
»Es bleibt so, weil wir es wie meine Schafe sanftmütig ertragen!«, zischte Jockel. »Wenn wir alle zusammen aufstehen, kann uns kein Herzog und kein Bischof aufhalten!«
»Du meinst, wir sollen wirklich aufbegehren und kämpfen?«, ächzte der Wollweber Markschild. »Das … das wäre wider die göttliche Ordnung! Ich dachte, wenn wir nur mit dem Stadtvogt reden, dann …«
»Wir sind nicht die Einzigen, die sich erheben!«, unterbrach ihn Jockel. »Im Allgäu, am Oberrhein, in Franken, überall brodelt es! Auch die Kirche ist gespalten. Dieser Luther ist einer von uns! Er hat dem lasterhaften Treiben in Rom den Kampf angesagt.«
»Luther will nur die Kirche erneuern«, murmelte der Apotheker Sperlin mit gesenktem Kopf. »Von einer neuen Ordnung in den Dörfern und Städten sagt er nichts.«
»Ihr Feiglinge!«, fauchte Jockel, während er wütend auf die Tischplatte klopfte. »Wollt Veränderungen, aber bitte schön hübsch brav, damit keiner eure Sonntagsruhe stört. Wollt den Braten essen und den hohen Herren gleichzeitig Honig ums Maul schmieren. So geht das nicht! Entweder ihr seid für den Kampf oder dagegen, dazwischen gibt es nichts!«
»Hüte deine Zunge, Jockel! Du vergisst, mit wem du hier sprichst.« Der alte Gerber Nepomuk Kistler richtete sich in seinem Stuhl auf und musterte den Schäfer nun drohend. Jockel hatte die Arme vor der Brust verschränkt und funkelte zurück, aber ihm schien klarzuwerden, dass er eine Grenze überschritten hatte. Jedenfalls schwieg er. In der Stube breitete sich eine so gespenstische Stille aus, dass Mathis meinte, seinen eigenen Herzschlag zu hören.
»Was du hier forderst, ist bewaffneter Kampf gegen die Obrigkeit!«, fuhr Kistler mit erhobenem Zeigefinger fort. Mit seinem
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