Die Burg der Könige
klickendes Geräusch, und ein Teil des Regals schwang wie eine Tür ein Stück weit nach außen. Vorsichtig öffnete Agnes die Luke ganz und zuckte zusammen.
Was in aller Welt …
Hinter dem Regal befand sich eine steinerne Nische, gerade groß genug, dass ein Kind sich hätte verstecken können. Einige Bücher und Schriftrollen lagen darin. Agnes griff danach und stellte fest, dass viele von ihnen nicht handgeschrieben, sondern gedruckt waren. Es schien sich um neuere Werke deutscher Gelehrter zu handeln, die Autoren hießen Philipp Melanchthon und Johann von Staupitz, auch der Name Luthers tauchte mehrmals auf. Gerade wollte sich Agnes die Schriftrollen genauer ansehen, als ihr Blick auf ein Buch dahinter fiel.
Kein Zweifel, es war jenes Buch, das Pater Tristan offenbar vor ihr versteckt hatte. Der Titel ließ Agnes’ Herz schneller schlagen.
Magna Historia de Castro Trifels … Große Geschichte der Burg Trifels.
Hastig begann sie darin zu blättern. In lateinischen Worten und mit vielen prächtigen Illustrationen, Initialen und farbigen Lettern berichtete das Werk von den Anfängen des Trifels als Reichsburg. Auf einer Zeichnung waren auf dem Sonnenberg die drei Burgen Trifels, Scharfenberg und Anebos zu sehen, dazwischen die Wachposten auf den Sandsteinfelsen, genauso wie Agnes es aus ihrem Traum kannte. Das Buch erzählte davon, wie der Trifels einst im 12 . Jahrhundert das Zentrum des Deutschen Reiches gewesen war, wie sich Könige und Fürsten hier getroffen hatten. Es handelte von Richard Löwenherz’ Kerkerhaft im Jahre 1193 und vom Feldzug gegen die Normannen auf Sizilien, nur ein Jahr später. Ein Bild zeigte, wie der sagenhafte Normannenschatz von Kaiser Heinrich VI. auf die Burg gebracht wurde; ein schier endloser Zug von Lasttieren erstreckte sich über die Hügelkette, dazwischen Ritter in blinkender Rüstung. Offenbar hatte es den Schatz also wirklich gegeben. Auch von den sogenannten Reichskleinodien war die Rede, die hier fast zwei Jahrhunderte lang unter der Obhut der Eußerthaler Mönche aufbewahrt worden waren und sich nun in Nürnberg in den Händen der Habsburger befanden.
Agnes blätterte weiter und kam schließlich zu der Seite, auf der der Trifelser Rittersaal abgebildet war. Wieder erkannte sie die vielen Festgäste aus ihrem Traum, auch den schwarzhaarigen Jüngling, der im Kettenhemd vor einem älteren Mann kniete. Als sie wieder eine Seite zurückblätterte, stieß sie auf den Titel des Kapitels. Er war in einfachem Latein geschrieben, das sie schnell übersetzte.
Schwertleite des Welfen Johann von Braunschweig Anno Domini 1293 …
Agnes’ Herz machte einen Sprung. Nun endlich wusste sie, wie der seltsame Jüngling aus ihrem Traum hieß! Die Welfen waren einst ein mächtiges Geschlecht gewesen und zur Zeit Barbarossas die Gegenspieler der Staufer. Auch sie hatten einst einen deutschen Kaiser gestellt. Nach wie vor lag im fernen Braunschweig das Zentrum ihrer Macht, wenn sie auch längst nicht mehr so viel Einfluss hatten wie früher.
Agnes betrachtete den Eintrag genauer. Das Bild mit dem Jüngling befand sich auf einer der letzten Seiten des Buches, das dazugehörige Kapitel befasste sich mit dem schleichenden Niedergang der Burg, der offenbar mit dem Niedergang der Staufer einherging. Aufgeregt fuhr sie mit dem Finger über die verblichenen Zeilen. Mehrmals wurden in dem Kapitel auch die Habsburger genannt, welche die kaiserlose Zeit des 13 . Jahrhunderts schließlich beendeten.
Gerade wollte Agnes weiterlesen, als sie Schritte von der Treppe her hörte. Sie waren langsam und bedächtig, dazwischen ertönte das Tappen eines Stocks. Pater Tristan näherte sich der Bibliothek!
Einen Augenblick lang überlegte Agnes noch, dann entschloss sie sich, das Buch zurückzustellen und die Nische wieder zu verschließen. Es wäre dem Mönch sicher nicht recht gewesen, dass sie das Geheimfach gefunden hatte. Außerdem lief sie sonst Gefahr, dass der Pater das Buch anderswo versteckte. Und dann konnte sie nie mehr wieder einen Blick hineinwerfen.
Eben verschloss sich klickend die Regaltür, als Pater Tristan auch schon die Bibliothek betrat. Mit unschuldiger Miene wandte sich Agnes zu ihm um.
»Ich habe auf Euch gewartet, Pater«, sagte sie ruhig. »Auch um Euch für die Grabrede zu danken. Sie war schön und einfühlsam. Im Grunde hatte Heidelsheim sie gar nicht verdient.«
»Hab Dank«, erwiderte Pater Tristan lächelnd. »Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass das der
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