Die Burg der Könige
schließlich zur Tür. »Lass uns lieber gemeinsam in den Wald gehen und Fieberklee und Hirtentäschel sammeln. Wir werden heute Nachmittag nämlich noch den einen oder anderen Kranken besuchen. Das bringt allemal mehr als Grübeln und langes Lamentieren.«
***
Oben im zweiten Stock der Burg stand der alte Ritter Philipp von Erfenstein in den Vogtsräumen und betrachtete gedankenverloren seine alte Rüstung, die auf einem hölzernen Ständer hing und in der Mittagssonne funkelte.
Den ganzen Morgen hatte Erfenstein damit zugebracht, die einzelnen Teile auf Hochglanz zu polieren. Er hatte Rost und Grünspan abgeschmirgelt und das Metall mit einem teuren Öl aus türkischen Landen eingerieben. Mit dem Finger fuhr er nun prüfend über Plattenharnisch, Arm- und Beinschienen und über die leicht eingedrückte Hundsgugel mit Klappvisier. Solche prunkvollen Rüstungen hatte man bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts getragen – ein Panzer aus Eisen, mit dem man auf dem Schlachtross den Gegner förmlich niederwalzte. Philipp hatte sie von seinem Vater, einem sächsischen Landadligen, geerbt. Wie oft hatte er die Rüstung in früheren Zeiten angelegt! Jede einzelne Delle erinnerte ihn an einen Kampf, ein Turnier, eine längst vergangene Schlacht. Erfenstein war ein starker, erfahrener Ritter gewesen, Kaiser Maximilian selbst hatte ihn in seine persönliche Leibgarde aufgenommen. Spätestens seit der berühmten Schlacht von Guinegate, in der Erfenstein als junger Page dem Kaiser das Leben gerettet hatte, waren sie Freunde gewesen. Maximilian war damals noch Erzherzog von Burgund, mit Langspießen hatten er und sein Page in den Reihen der einfachen Fußknechte die Franzosen in die Flucht geschlagen. Die Narbe und die Augenklappe, die Erfenstein von diesem Tag an begleiteten, trug er wie verliehene Orden. Einige Jahre später war Maximilian dann Kaiser geworden und hatte seinem alten Freund den Trifels als Lehen übergeben.
Die erste Zeit auf der Burg war für Erfenstein die Erfüllung all seiner Träume gewesen. Er war der Vogt eines geschichtsträchtigen Orts, hatte sein Auskommen und mit Katharina eine schöne, kluge Frau an seiner Seite. Nur ein Kind hatte noch gefehlt, das Ehepaar wurde älter und älter, und die Leute fingen bereits an zu tratschen.
Doch dann war Agnes gekommen, sein liebes Mädchen. Ihm war, als hätte sie erst gestern noch auf seinem Schoß gesessen.
Vater, erzähl mir von früher, erzähl mir von den Pferden, den Rittern, den Turnieren und von der Schlacht von Guinegate …
Was war nur aus seinem lieben Mädchen geworden? In ihrer Kindheit hatte er über ihre Lust an alten Geschichten nur gelächelt, doch mittlerweile machte sie sich – und damit auch ihn – mit ihrer Liebe zu Büchern, mit den Beinlingen und dem Falken zum Gespött der ganzen Gegend! Warum konnte sie nicht einsehen, dass er nur das Beste für sie wollte? Woher kam nur dieser Widerwillen gegen eine günstige Heirat mit einem wohlhabenden Mann?
Philipp von Erfenstein schloss kurz sein gesundes Auge und versuchte den Zeitpunkt festzumachen, wann sein Leben die falsche Abzweigung genommen hatte. Schleichend waren die Veränderungen gekommen, erst kaum wahrnehmbar, dann immer massiver. Zunächst war sein Lehen vom Zweibrückener Herzog, dem Pfälzer Kurfürsten und den umliegenden Grafschaften an allen Ecken und Enden gekürzt worden, Erfenstein hatte Schulden mit Land zahlen müssen. Dann hatten die verfluchten Städte auch noch die Kornpreise ruiniert, und sein Freund, der Kaiser, brauchte schon bald keine Ritter mehr, sondern teure bewaffnete Landsknechte, die nicht der Herrscher selbst, sondern die niedrigen Adligen, die Freiherren und Ritter zu bezahlen hatten! Aus den kleinen Fehden und Feldzügen mit ein paar hundert Mann wurden gewaltige, teure Kriege.
Spätestens da hatte Philipp von Erfenstein damit begonnen, seine Sorgen in Alkohol zu ertränken. Mit dem Tod Maximilians vor fünf Jahren waren schließlich all seine Hoffnungen geschwunden, das Schicksal noch einmal zu wenden. Und der Branntwein brachte süße Träume von vergangenen würdigen Kämpfen, Mann gegen Mann.
Der Trifelser Burgvogt griff nach dem eineinhalb Schritt langen Bihänder, der neben der Rüstung in einer Ecke seines Gemachs lehnte, und betrachtete in der matten Spiegelung der Klinge sein aufgedunsenes Gesicht mit der Narbe und der Augenklappe. Was war nur aus ihm geworden! Ein verarmter Grundherr, der jeden Heller zweimal umdrehen musste,
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