Die Burg der Könige
durchschneidet, nur für ein paar Hühner und Ziegen.«
»Möglich. Aber man hat keine Leiche gefunden.« Agnes zögerte kurz, während sie ein leichter Schauer erfasste. »Im Grunde ist es wie bei Martin von Heidelsheim«, fuhr sie schließlich fort. »Vielleicht ist es ja nur ein Zufall, aber irgendetwas geht da draußen vor.«
Eine ganze Weile schauten sie nur in den Sternenhimmel, während Mathis Agnes’ Hand hielt. Ganz in der Nähe krächzte ein Käuzchen.
»Ich habe übrigens das Buch wiedergefunden, das Pater Tristan vor mir versteckt hat«, begann Agnes plötzlich unvermittelt. »Es lag in der Bibliothek in einer Art Geheimfach.«
Mathis verdrehte die Augen und schob ihre Hand weg. »Ich dachte eigentlich, du wolltest von uns beiden sprechen, und jetzt fängst du wieder mit diesen seltsamen Geschichten an. Ich verfluche den Tag, an dem Parcival den vermaledeiten Ring an seiner Klaue mitgebracht hat. Du bist ja ganz besessen von diesem Spuk!«
Agnes fasste nach dem Ring, der wie immer an einer Kette um ihren Hals hing. Sie hatte sich so daran gewöhnt, ihn zu tragen, dass sie ihn manchmal mehrere Tage lang vergaß. Im Augenblick schien er schwerer als sonst zu wiegen. Sie setzte sich in der kleinen Felsnische auf. »Mathis, verstehst du denn nicht? Dieser Ring, und vor allem die Träume, sie beschäftigen mich. Sie sind so … so wirklich! Und nun erfahre ich auch noch, dass in ihnen jemand auftaucht, den es wirklich gegeben hat!«
In hastigen Worten erzählte sie ihm von dem jungen Johann von Braunschweig und was sie sonst noch in der Trifels-Chronik herausgefunden hatte.
»Dieser Ritter Johann ist ein Welfe gewesen«, schloss sie. »Er war hier auf der Burg, fast hundert Jahre nach dem Tod Barbarossas. In meinen Träumen will er mir irgendetwas über den Siegelring mitteilen. Er scheint mich warnen zu wollen!«
»Agnes«, versuchte Mathis sie zu beruhigen, »das sind Träume, mehr nicht! Dieser Ring beschäftigt dich, was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, wie er zu dir gelangt ist. Und diesen Ritter Johann kennst du aus dem Buch. Du träumst einfach das, was du tagsüber erlebt hast. Das ist normal.«
»Du vergisst, dass ich schon von Johann träumte, bevor ich ihn auf dem Bild gesehen habe. Nennst du das etwa auch normal?«
Mathis zuckte die Achseln. »Vielleicht hast du das Buch ja vorher schon mal gesehen und es nur wieder vergessen. Schließlich hast du deine halbe Kindheit in dieser staubigen Bibliothek verbracht.«
»Verflucht, Mathis!« Agnes stand jetzt auf, wobei sie sich den Kopf an der niedrigen Felsdecke stieß. Vor Schmerz und Zorn liefen ihr Tränen über die Wangen. »Nur weil ich gerne lese, bin ich noch lange nicht verrückt!«, schimpfte sie und rieb sich die wunde Stelle. »Auch wenn alle Welt, und sogar du, das behauptet. Ich habe von diesem Ritter Johann geträumt, bevor ich ihn im Buch gesehen habe, das schwöre ich bei Gott! Und ich weiß, dass dieser Ring nicht zufällig zu mir gekommen ist. Irgendwer, der wollte, dass ich ihn bekomme, hat ihn Parcival an die Klaue gesteckt!«
Mathis seufzte. »Und ich dachte wirklich, wir wollten mal über uns reden.«
»Das will ich ja auch, aber …«
Plötzlich hielt Agnes inne, so dass Mathis sie irritiert ansah. »Was hast du?«, fragte er.
Sie deutete den Hügel hinab nach Süden. »Schau selbst.«
Mathis kroch aus der Höhlung, und gemeinsam starrten sie auf etwa ein Dutzend kleine Lichter, die in einer Senke zwischen dem Anebos und Burg Scharfenberg auf und ab wogten.
»Das sind Fackeln«, wunderte sich Mathis. »Was haben Leute mitten in der Nacht hier oben zwischen den Felsen verloren?«
Agnes musste plötzlich an die Sage von Barbarossa denken. Bewachten nicht Zwerge am Trifels den Schlaf des berühmten Kaisers? Die wogenden Lichter kamen Agnes fast vor wie Laternen, wie sie das kleine Volk in den alten Geschichten in den Händen hielt. Doch sie hütete sich, diesen Gedanken Mathis gegenüber auszusprechen. Er hielt sie ohnehin schon für eine versponnene Träumerin.
»Hast du nicht gesagt, dieser junge Graf Scharfeneck will drüben in Scharfenberg einziehen?«, fragte Mathis, während er unverwandt auf die Lichter blickte. »Vielleicht sind das ja bereits seine Männer.«
»Und die schleppen des Nachts die neuen Möbel rauf?« Agnes schüttelte den Kopf. »Das ist doch Unsinn.«
»Dann lass uns in Gottes Namen nachsehen, wer sich dort unten herumtreibt«, erwiderte Mathis und wandte sich zum
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