Die Capitana - Roman
Dir kann ich dieses erfüllte Leben führen.« In welche Seelenqualen sie ihn gestürzt hat, während er im Ruheraum war, kamen ihm unentwegt die Tränen. Die Großzügigkeit, ihn zu verlassen, sich von ihm zurückzuziehen? Er braucht keine anderen Frauen, sondern Mika. Und von ihr hat er nicht solche hässlichen, distanzierten Worte erwartet, sondern solche, in denen »Du Dich mir näherst, bei mir bist, mich umarmst, mich an Dich ziehst, so fest Du kannst«.
Wie konnte sie ihm so grässliche Sätze schreiben, »über uns, die wir auf geradezu wunderhafte Weise unsere Liebe über alle Fährnisse des Lebens gerettet haben. Wir haben sie uns erschaffen, sie uns erobert.« Er will vor ihr nicht die dreizehn oder vierzehn Jahre ihres gemeinsamen Lebens im Einzelnen ausbreiten, er will sie nur daran erinnern, dass sie diese ganze Zeit nicht nebeneinanderher gelebt haben, »sondern miteinander, in großer gegenseitiger Achtung, jeden Tag«. Denn während man fürs Verliebtsein nicht mehr braucht als blinden Instinkt, »ist die große Freude, Hand in Hand durchs Leben zu gehen, ein Werk des Willens, der Klarsicht und lebendigen Gefühle. Wir haben uns das Recht auf unsere Liebe verdient.«
Die Briefe aus Oise sind die schönsten, die ich in meinem Leben bekommen habe, in ihnen stecken so viel Zärtlichkeit, so viele tiefgehende Gedanken über die Ereignisse damals, über die Bücher, die er gelesen hat, aber auch über uns, über das Besondere unserer Liebe. Hipólito Etchebéhère besaß eine unglaubliche Intelligenz, sein Denken wie sein Schreiben waren brillant. Und er hatte ein großes Herz.
Ich bewahrte sie viele Jahre auf, sie reisten mit mir im Zweiten Weltkrieg nach Buenos Aires und 1946 zurück nach Paris. Ich brauchte seine Briefe nicht, um ihn mir in Erinnerung zu bewahren, er blieb mein ganzes Leben lang Teil von mir so wie meine Haut und meine Knochen, aber diese Briefe zu haben, sie wieder und wieder zu lesen gab mir Halt, wenn ich mich schwach fühlte, brachten mich zu mir zurück, wenn ich mich verlor.
Und auch wenn er stets an meiner Seite blieb, wo auch immer ich war, war meine Freude groß, als ich in den Fünfzigerjahren in die Wohnung in der Rue Saint-Sulpice zog, so als würde ich in unser Leben zurückkehren, das uns nicht vergönnt gewesen war.
Als wir in der Rue Gay Lussac oder in der Rue de Feuillantines wohnten und ich von dort zum Arbeiten oder zum Ausliefern der Zeitschrift Que faire ging, spazierte ich gern durch die schmalen Gässchen des Viertels und kehrte im Café de la Mairie an der Place Saint-Sulpice ein. Unzählige Male ging ich an der Rue Saint-Sulpice Nummer 4 vorbei, ohne zu ahnen, dass die Wohnung im vierten Stock einmal mein Zuhause sein würde, wo ich bleiben würde fast bis zum Ende meiner Tage.
Die Wohnung war, als ich sie kaufte, sehr heruntergekommen. Ein guter Freund von mir, Carmelo Arden Quin, dieser geniale uruguayischer Maler und Erschaffer großer Werke, nahm Pinsel und Werkzeug in die Hand, und dank seines großen Talents schuf er aus den schäbigen vier Wänden ein Kunstwerk. Allerdings brauchte das seine Zeit. Mehr als ein Jahr. Ich schlief zwischen Ziegelsteinen, Holzlatten und Farbtöpfen, die überall herumstanden. Aber was hatten wir für eine gute Zeit zusammen. Und die Wohnung wurde großartig, behaglich und komfortabel, und sehr besonders.
In diesem unseren Viertel war Hippo weiter bei mir, und einiges, was ich dort erlebte, hätte ihm gefallen, wie die Ereignisse im Mai ’68.
29. Kapitel
Paris, 1968
Das Wasser kommt seit einigen Tagen mit zu wenig Druck, und immer wieder fällt der Strom aus, aber Mika machen diese Beeinträchtigungen nichts aus. Im Gegenteil, sie findet das gut, endlich tut sich mal etwas. Durch Frankreich weht ein frischer Wind, in den Straßen von Paris brodelt es, Studenten und Arbeiter singen, mit derselben Inbrunst wie sie damals, die Internationale.
Sie hat den Espressokocher aufgesetzt, und es amüsiert sie, dass die Einschränkungen so weit reichen, die Gasflamme ist winzig, entsprechend lang braucht der Kaffee. Das Land ist lahmgelegt, Hippo, erzählt sie ihm und rückt sein Bild auf dem Tischchen zurecht.
Unter die Dusche, und rasch anziehen. Den grauen Rock und die Strümpfe, die flachen Schuhe, falls sie rennen muss, die hellblaue Bluse und die Strickjacke. Wo hat sie nur das rote Halstuch, das dem, das die jungen Frauen in Madrid getragen haben, so ähnlich ist? Sie möchte es sich umbinden, warum nicht? Das muss man
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