Die Capitana - Roman
»Geliebter, heute auf Spanisch, ich bin sehr müde.«
Auch Hippolyte heute auf Spanisch, »damit Du Dir die dunkle Tönung und die Weite des spanischen Worts bewahrst. Seinen Klang einer bronzenen Glocke, weit entfernt von der helltönenden Flöte des Französischen. Aber kein schnell hin- und herschwingendes Glöckchen, eine schwere Bronzeglocke, von der Hand des Glöckners erweckt, zum Verstummen gebracht. Eine männliche Sprache. Dunkel, schwer.«
Hippolyte liest die Zeilen noch einmal, lässt seine Gedanken schweifen. Die Zuversicht in Mikas Brief berührt ihn, und bereitet ihm Sorgen. Er fürchtet, dass er ihr mit der Aussicht seines dreitägigen Besuchs zu viel versprochen hat, heute hatte der Arzt keine guten Neuigkeiten für ihn: Das Untersuchungsergebnis ist einigermaßen, aber noch ist die Krankheit nicht überwunden, so wie er es dachte. Es gibt da einen Befund, nicht weiter besorgniserregend, wenn er auf sich aufpasst … Er soll deutlicher werden, bitte, Herr Doktor. Es gibt keine Garantie, dass die Tuberkulose nicht wiederkommt. Und er ist schon fünf Monate in der Klinik!
Soll er es Mika sagen? Nicht jetzt, es ist überhaupt nichts gewiss, nichts ist gewiss außer diesen Herbststürmen: »Der Herbst hat begonnen wie manche Opern. Mit einer machtvollen Ouvertüre, unter Einsatz des gesamten Orchesters. Wir sind ganz benommen, verstört. Gestern Nacht hat der Sturm wie ein nächtlicher Trunkenbold gegen unsere Fenster geschlagen. Kaum jemand hat geschlafen. Nichts kann ihn besänftigen.«
So wie er die Unruhe nicht besänftigen kann, in die ihn der Arzt versetzt hat. Er wird es ihr erzählen wie etwas, das ihn nur am Rande betrifft, mehr als Anregung zu einer philosophischen Frage, wenn man in der Medizin nichts klar beweisen kann, inwieweit ist sie dann eine Wissenschaft?
Sie will ihn sofort nach dieser verwirrenden Bemerkung in seinem letzten Brief fragen, soll das heißen, dass die Krankheit nicht weg ist oder dass sie wiederkommen kann, war auf dem Röntgenbild keine Besserung zu sehen?, was also soll das bedeuten, aber sie darf ihren Brief nicht mit dieser Frage beginnen, sie wird sie am Ende noch anfügen wie etwas, das sie vergessen hat, nachdem sie ihm von ihren neuen Übersetzungsaufträgen erzählt hat, und davon, dass sie die Druckerpresse säubern musste, und von den Büchern von Racine und Montaigne, die sie aus der Bibliothek in La Grange holen will. Direkt vor dem »ich liebe Dich, so sehr wie nie zuvor, ich will, dass Du da bist, brauche Deine Umarmungen, Deine Küsse, Deine Stimme«.
Genau so, in diesem Ton eines verliebten Satzes, nicht verzweifelt und halbtot vor Angst, wie ihr in Wahrheit zumute ist, »diese Bemerkung in Deinem Brief, heißt das, dass Du nicht kommst?« Wenn ihr beim Schreiben nur die Hand nicht zittert.
Erst viel später kommt ihr der Gedanke, und obwohl er so schmerzlich und ohne jede Grundlage ist, wächst er, so wie nur Wahnvorstellungen in einer schlaflosen Nacht wachsen können, verfestigt sich, und im Morgengrauen beschließt Mika, ihm Folgendes zu schreiben: Wenn nur eine große Leidenschaft in der Lage ist, ihm die Lebenskraft zurückzugeben und seine Krankheit zu besiegen, dann ist sie, Mika, bereit, sich zurückzuziehen und Hippo zu verlassen, sie gibt ihn frei, er soll sich in keiner Weise schuldig fühlen, sie will nur eines, dass er gesund wird. Drei lange Seiten, die sie nicht noch einmal durchliest, bevor sie sie zusammenfaltet und in den Umschlag steckt, seinen Namen und seine Adresse draufschreibt und zur Post bringt, denn es ist schon Tag.
Nach dem wohltuenden Mittagschläfchen und der Gemüsesuppe kommt ihr dieser Brief wie ein sonderbarer Alptraum vor. Aber sie hat ihn schon losgeschickt.
Ausgerechnet heute, als der Arzt ihm verkündet hat, dass er vier Tage nach Hause darf: dieser kopflose Brief. Sie muss ihn bei Kerzenschein geschrieben haben, schließt Hippolyte, an dieser Verzerrung, diesem Wahn ist das Zwielicht des Kerzenlichts schuld. Er hat es ihr schon vor einer Weile gesagt: Sie muss in der roulotte Strom legen lassen. Und es geht auch nicht, dass Mika für die Zeitschrift so viele Aufgaben übernimmt, er wird mit den Genossen reden. Nur zehrende Müdigkeit kann diesen Brief erklären, er kann nicht glauben, dass sie so etwas Verrücktes denkt, »Du musst Dich dieser wunderbaren Wahrheit fügen, dass die große Liebe, die Du mir wünschst, die mir Lebenskraft und Gesundheit bringen soll, keine andere ist als die unsere. Nur mit
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