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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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bewahren.«
    Vor zu viel Trubel bewahren, hat sie geschrieben, aber wird er in der roulotte genug Luft zum Atmen haben? Wie viele Kubikmeter Luft brauchen Lungen? Wird es für ihn nicht zu anstrengend sein, sechs Stockwerke hoch und runter zu gehen?
    Wieder überfällt sie die Angst, sie steht auf, geht hinaus und atmet tief ein und aus, saugt den nächtlichen Duft der Pflanzen in sich auf, seine beruhigende Kraft. Auch er atmet im Sanatorium saubere Luft, versucht sie sich zu trösten. Wie wird es nur werden in der roulotte ?
    Er kennt sie nicht, er war den dritten Monat im Sanatorium, als Mika sie gemietet hat.
    Wird er sie kennenlernen?
    Die Frage fährt ihr übers Gesicht wie eine Ohrfeige. Ihr wird schwindlig, sie geht ins Haus, hält sich an dem Stift, dem Papier fest: »Ach, was für einen schönen Winter werden wir zusammen in unserer roulotte verbringen, ich werde immer wieder aufstehen, um mich auf Deinen Schoß zu setzen und Dich zu küssen und lange zu streicheln …«
    Das ist die beste Medizin in der ganzen Woche, Hippolyte hat den Brief fertig gelesen, in dem Mika ihm ihren Traum anvertraut: sie beide in der roulotte . Etwas Warmes regt sich in ihm, es steht nichts davon in dem Brief, aber er kann Mikas Hand folgen, die nach unten gleitet, sein Geschlecht anfasst, ihn küsst, wie wunderbar. Und er sieht sich, wie er ihr unter den Rock fährt, diese feuchte, warme Öffnung sucht, die ihn empfängt. Er sitzt im Ruheraum mit Blick auf die Wand, allein, in absoluter Stille, vor seinen geschlossenen Augen ihre gesunden, schönen Körper beim Liebesspiel. »Du hast mich in deinen glücklichen Traum gelassen, und wie ein kleiner Junge will ich rufen: Ich will es jetzt, jetzt gleich.«
    Er hat Mika noch nichts gesagt, er will keine leeren Versprechungen machen, aber wenn die Untersuchungen ergeben, dass die Tuberkulose nicht fortschreitet, werden sie ihm in ein oder zwei Monaten erlauben, für drei Tage nach Hause zu fahren. So wie man Soldaten auf Heimaturlaub schickt, damit sie sich erholen, hat der Bretone gesagt. Schrecklich. Und doch, wie gut würde es ihnen tun.
    Hippolyte freut sich sehr, dass Marguerite und die Baustins ihn besuchen kommen, auch Grzegoz hat sich angekündigt, aber sie werden umringt sein von Leuten, kann Mika nicht am nächsten Donnerstag allein kommen? So viele Tage hat er sie nicht gespürt, nicht gerochen. »Du wirst über mich lachen, aber ich schäme mich nicht, Dich das zu bitten: Bringst Du mir ein Taschentuch von Dir mit? Dein Duft heilt mich mehr als die Sonne.«
    Als Mika nach Hause in die roulotte kommt, zieht sie sich die Schuhe aus und wirft sich aufs Bett. Sie ist erschöpft. Den ganzen Tag ein einziges Hin und Her, die Spanischstunden, die wieder angefangen haben – zum Glück -, das Vorstellungsgespräch bei Herrn Heller wegen der Übersetzungen aus dem Deutschen und dann noch das Ausliefern der Zeitschrift Que faire . Von der spanischen Buchhandlung in der Rue Gay Lussac Nummer 10 zum Zeitungskiosk an der Metrostation Mabillon, den ein polnischer Genosse führt. Und danach zur Buchhandlung in der Rue Baudelaire, in der Nähe der Bastille, in der ein Cousin eines anderen Genossen arbeitet.
    Es war so nicht vorgesehen, aber im letzten Moment lief allerhand schief, und jetzt lastet alles Organisatorische auf Mikas Schultern: die Druckerei, die Auslieferung, die ganze Koordination. Die Zeitschrift wird, keine Frage, nach und nach ihren festen Platz einnehmen, sie können stolz sein. Hippo hat sich kürzlich über die neue Nummer sehr erfreut gezeigt, und sie wird ihm erzählen, wie viele begeisterte Zuschriften sie bekommen, nicht nur aus Frankreich.
    Hoffentlich lassen sie ihn für ein paar Tage nach Hause, hoffentlich wird er ein für allemal diese widerlichen Bazillen los.
    Wenn er in drei oder vier Monaten zurück sein wird, wird alles anders sein: Sie wird Geld verdienen, für eine stabile Lebensgrundlage sorgen – lässt sie sich vom Optimismus mitreißen wie von einem Wirbelwind –, sie werden reisen und viel Zeit in einem trockenen Klima verbringen, das seiner Gesundheit förderlich ist, sie werden studieren und schreiben.
    Fürs Erste hat sie schon mal diese Übersetzungen aus dem Deutschen, die ihr in kurzer Zeit gutes Geld einbringen. Und dann können sie in Spanien Urlaub machen.
    Sie holt den Text aus der Tasche, den sie übersetzen muss. Sie wird ihn sich morgen ansehen, das Licht lässt schon nach, und sie will ihm noch ihren täglichen Brief schreiben:

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