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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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feiern.
    Kaffeeduft erfüllt ihre Wohnung in der Rue Saint-Sulpice, und während sie ihn trinkt, kribbelt die Kampfeslust in ihrem Bauch, wie gut, sie noch einmal zu spüren auf ihre alten Tage, denkt sie und lacht. Sie ist nicht so alt, ihre Zipperlein hin oder her. Das kommt nur von der Langeweile, heute Morgen geht es ihr blendend, sie ist voller Elan, alle, die sich ihr in den Weg stellen werden, können sich auf etwas gefasst machen. Sie muss über ihren Übermut selbst lachen. Sie ist allerbester Laune, der Abend gestern bei den jungen Leuten in der Rue Gay Lussac hat ihr so gutgetan. Genau dort, wo sie gewohnt haben, wenige Meter von der spanischen Buchhandlung entfernt, wohin Hippo ihr die Briefe aus dem Sanatorium geschrieben hat.
    Seit Wochen dauern die Straßenkämpfe an, zu den Studenten aus Nanterre gesellten sich die von der Sorbonne, später noch die Arbeiter, neue Zeitungen wie L’Énragé erinnern sie an Insurrexit . Wie sehr würde es Hippo gefallen, jetzt hier dabei zu sein und mit ihr zusammen vor den Beamten der CRS wegzulaufen, diesen verfluchten Einsatzkräften, die einem jedes Mal den Spaß verderben müssen.
    Sie meint, seine Stimme zu hören: Komm schnell, Mikuscha, diese hitzigen jungen Leute brauchen uns.
    Los jetzt.
    Der Mantel hängt an der Garderobe. Die Handtasche nicht vergessen, und natürlich die Handschuhe, sie wird sie brauchen. Sie steckt noch ein zweites Paar ein, die baumwollenen.
    Die Sorbonne ist in eine autonome Festung, ein Besetzungskomitee hat alles in die Hand genommen und eine Basisversorgung für die aufständischen Studenten eingerichtet, Krankenstation, Speisesäle, sogar einen Kindergarten, in dem Mika aushilft und wo sie vor ein paar Tagen ihre Freundin Ded getroffen hat. Wie haben sie sich gefreut.
    Auf dem Boulevard Saint Michel eine riesige Menschenmenge, Mika schlängelt sich zwischen den umgestürzten Tischen vor den Cafés durch und beschließt, lieber zum Jardin du Luxembourg hochzugehen, dort ist weniger los, und von dort die Rue Saint-Jacques hinunter bis zur Sorbonne.
    Die jungen Leute kennen sie schon, sie lächeln ihr zu, als sie an ihren Barrikaden vorbeigeht: bonjour camarade . Der schlanke Schwarzhaarige dort spricht sie auf Spanisch an, hola Mika , gestern hat sie sich lange mit ihm unterhalten. Das blonde Mädchen, Lise, war auch dabei gewesen, sie ist sehr nett. Sie hat ihr gesagt, sie würde sie an ihre Großmutter erinnern, aber die würde natürlich nicht dorthin kommen, sie ist sehr konservativ.
    Mika geht zu ihr und sieht ihre schmutzigen Hände an, ihre vom Herausreißen der Pflastersteine schwarzen Fingernägel, dann stellt sie Lise zur Rede. Bist du verrückt? Wie unvorsichtig, das hat sie gestern ihrem Freund schon gesagt, oder? Ja, gibt er zu. Aber offenbar will keiner auf sie hören, sagt Mika, macht ihre Handtasche auf und zieht ein paar Handschuhe heraus, die sie Lise hinhält.
    »Zum Pflastersteine-Herausreißen trägt man Handschuhe«, erklärt sie, während sie sich selbst ein Paar anzieht.
    »Wieso?« Das Mädchen sieht sie verständnislos an, »ich werde niemals Handschuhe anziehen, auch nicht, wenn ich alt bin.«
    Mika bückt sich und hebt einen Pflasterstein auf.
    »Wenn du keine Handschuhe anziehst, verraten dich deine schmutzigen Hände.«
    Lise zwinkert ihr zu: Sie kennen sich ja wirklich aus. Daran hat sie noch nie gedacht.
    »Jetzt, ran an die Arbeit, wir müssen fertig werden, bevor die CRS kommen.«
    Um elf schreitet die Polizei mit unverhältnismäßiger Gewalt ein, Panzerwagen dringen durch die Rue Clovis vor, formierte Einsatztrupps mit Schildern, über Mika fliegen Pflastersteine hinweg. Der Rauch der Schüsse, Gummikugeln, Schlagstöcke und Schreie.
    Mika hat sich unter einen Hauseingang geflüchtet, sie kneift die Augen zusammen, als wäre sie kurzsichtig, was sie nicht ist, versucht ihre Freundin Lise auszumachen. Sie ist sich sicher, dass sie entkommen konnte, sie hat sie und die anderen wegrennen sehen, ist ihnen aber nicht hinterher, das kam ihr unpassend vor, und wer weiß, ob ihre Beine schnell genug gewesen wären, lieber geht sie ganz gemächlich, als ob nichts wäre, sie hat Angst, aber das wird ihr niemand anmerken, schon gar nicht dieser Polizist, dieser widerliche flic , der sich ihr nähert und sie am Arm nimmt: Madame, was machen Sie hier, mitten in diesem Tohuwabohu.
    Sie weiß auch nicht, was ist hier los, Herr Wachtmeister. Der Polizist erklärt ihr alles, natürlich andersherum, als es in

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