Die Capitana - Roman
oder nach ihm suchte, der, davon war er steif und fest überzeugt, irgendwo ganz in der Nähe sein musste.
Keiner von ihnen, weder Sebastián noch Mateo, noch Mika, noch das junge Mädchen, das schon überaus gereizt war, konnte ahnen, dass Paquito recht hatte.
Quique ist überzeugt, dass er seinen jüngeren Bruder finden wird, und ich weiß nicht, wie ich ihm beibringen soll, dass er sehr wahrscheinlich tot ist. Und warum ihm die Hoffnung nehmen: Ja, du wirst ihn schon unterwegs finden, spätestens in Madrid. Trauern kann er später immer noch. Ich habe die Meinen auch aus den Augen verloren, sage ich zu ihm, zwar nicht meine Verwandten, aber fast, irgendwo werden sie schon stecken, auf der Flucht sein wie wir. Dabei denke ich: Sie sind tot, wie schrecklich, doch ich schweige, wir müssen weiter.
Die ganze Nacht und den ganzen Tag weichen wir Patrouillen aus, ein paar Mal hätten sie uns um ein Haar erwischt. Zum Beispiel als wir diese Scheune gesehen haben, wir sind sofort hingelaufen, hofften auf etwas zu essen, eine Runde Schlaf. Doch wer kam uns entgegen? Faschisten! Ein anderes Mal erspähten wir im Wald in der Ferne Männer der Guardia Civil und sind auf einen Baum geklettert.
Quique und ich sind wie zwei Äffchen, im Nu sind wir ganz oben. Wir ergänzen uns gut: Er erlauscht den leisesten Tritt, das feinste Geräusch in der Ferne, und meine Augen sind wie Scheinwerfer, denen nicht die geringste Kleinigkeit entgeht. Sobald eine Gefahr sich andeutet, gibt Quique mir ein Zeichen, zack, sind wir oben auf dem Baum. Ich glaube, er macht ein Spiel daraus, um uns vom Hunger abzulenken. Vorhin sind wir lang auf den Ästen einer alten Eiche sitzen geblieben und haben geredet und geredet, uns unsere Leben und unsere Schlachten erzählt.
Es war falscher Alarm, hat Quique gesagt, da war gar niemand, aber es ist doch nett mit mir hier oben, oder? Emma, gib’s zu, und dann springt mich sein vorlautes Lachen an, vereinnahmt mich, wie frech er ist. Natürlich gefällt es mir, Quique, aber es geht doch nicht, dass wir hier im Wald sitzen und lachen, sie können uns jeden Augenblick töten.
»Sie werden uns nicht töten, Emma. Und Paco auch nicht. Wir gewinnen den Krieg.«
»Was machst du da, Junge«, schrie Pilar ihn an, als Paquito, einen langen und lauten Pfiff ausstoßend, des Weges kam. »Bist du wahnsinnig, willst du, dass sie uns umbringen?«
»Aber wenn doch weit und breit niemand ist, du selbst hast es gesagt. Das ist unser Ruf. Nur mein Bruder erkennt das Zeichen.«
»Und die Faschisten, du Dummkopf. Sie werden auf uns aufmerksam«, hielt Mateo ihm vor. »Mach das nicht wieder.«
Er entfernte sich mit großen Schritten von der Gruppe und pfiff abermals. Mika warf das Gewehr weg und rannte ihm hinterher. Doch sie holte Paquito nicht ein.
»Paquito«, rief Mika ihn streng, »bleib stehen oder ich muss für dich das Tribunal einberufen.«
Den Gedanken hatte sie schon länger, jetzt sprach sie darüber mit Mateo: Aber was redest du da, er ist doch noch ein Kind, gerade mal vierzehn, richtet ihr über Kinder? Natürlich ist er ein Kind, aber er ist im Krieg wie die Erwachsenen, und darum muss man ihn auch wie einen Erwachsenen behandeln. Ihr Plan ging auf, der Junge hielt an, war am Boden zerstört. Mika kam zu ihm und nahm ihn in den Arm, während er schluchzte: Wie soll mich mein Bruder nur finden.
In dem Moment hörte er, noch über das Blätterrauschen hinweg in weiter Ferne diesen Ton, so anders als der nächtliche Gesang eines Vogels. Das Leuchten in Paquitos Augen: Bitte, lass mich ihn rufen. Und wieder, ganz weit weg, das Pfeifsignal.
Wir rennen, so schnell wir können, durch den Wald, in die Richtung, aus der das Pfeifen kommt, in die entgegengesetzte, die, aus der wir gekommen sind. Quique ist sich ganz sicher, obwohl sich das Pfeifen nicht wiederholt hat. Es ist schon dunkel, die schwarzen Bäume, das schwarze Gestrüpp machen den Wald bedrohlich. Ich traue mich nicht, ihn zu bitten, lieber nicht noch mal zu pfeifen, was, wenn es nicht sein Bruder, sondern Faschisten sind? Plötzlich hält Quique mich mit der Hand zurück, ich kenne das schon, er hört etwas und macht die Augen zu, um zu lauschen: Auf den Baum mit dir, flüstert er mir ins Ohr, und halte Ausschau mit deinen wunderschönen Augen, deinen Fernstechern.
Aber man braucht keinen besonders scharfen Blick, so deutlich zeichnen sich die menschlichen Schatten ab, einer hinter dem anderen, ein Mann kommt unter unserem Baum vorbei, dann ein
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