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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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von Stolz geleitet.
    »Stolz nicht, Scham«, verbessert der Marseiller, »das ist eine Gefühlsregung, die bescheidenen Menschen nähersteht.«
    Aber Mika ist es einerlei, ob sie es aus Stolz tun oder aus Scham oder aus Ehre. Eine blinde Wut hat von ihr Besitz ergriffen und platzt aus ihr heraus: Abscheulich findet sie es, dass für die Spanier körperlicher Mut die allerhöchste Tugend ist, die man beweisen muss, indem man aufrecht, erhobenen Hauptes durch die Kugeln läuft und den Tod herausfordert. Das machen Pedro, Francisco, und du ziehst mit ihnen mit, Marseiller. Aber nicht mit Mika, o nein, sie hält das für einen großen Fehler – ihre Stimme schlägt um, so sehr schreit sie – verantwortungslos, verstehst du? – und bricht. Sie hätte das verhindern müssen – die Tränen, die ihr nicht über die Wangen laufen, liegen in diesen Worten, die sie auf Französisch spricht – dann säßen wir nicht in diesem Loch aus Gold und Marmor, wir hätten die Schlacht um Sigüenza gewonnen.
    Die Augen des Marseillers verengen sich, als wollten sie diese außer sich geratene Frau einfangen, die er nicht wiedererkennt.
    Er sagt kein Wort. Der Marseiller drückt ihre Hand, und in diesem Händedruck liegt die Innigkeit einer Umarmung, ein kurzer Augenblick des Friedens. Der Ausbruch hat ihr gutgetan. Und auch, dass man sie aufgefangen hat.
    »Ruh dich erst mal aus«, bittet sie der Marseiller.
    Mika geht zur Grabkapelle des Doncel, ihrem Zuhause in den letzten Tagen. Sie rollt sich seitlich neben dem Altar zusammen. Sie ist so erschöpft, dass sie die Augen schließt und einschläft.
    Wir haben mit Sebastián schon alles geplant. Wir gehen. Der Marseiller, der mit der Kartoffel im Mund, ist mit von der Partie, und Mika auch, aber dass auf keinen Fall ich oder das andere Kind die Flucht organisieren soll, hat sie mir gesagt, als ich ihr anbot, sich uns anzuschließen, da ist sie hart. Sie gibt die Harte, doch dann wieder entwischt ihr dieses Lächeln, das ihr eigentliches Wesen verrät.
    »Ich bin froh, dass du zurück nach Hause gehen willst, Emma, du gehörst zu deiner Mutter.«
    »So schnell wirst du mich nicht los«, erwiderte ich ihr lachend. »Es liegen noch einige Schlachten vor uns, bis wir den Krieg gewonnen haben.«
    Sie vereinbaren zwei Dinge: Sie werden gemeinsam diese Hölle verlassen. Um acht Uhr abends, unten an der Treppe. Mit dem Marseiller fühlt Mika sich sicher. Jeder hat mit seiner Gruppe gesprochen. Sie sind etwa zwanzig Leute, die gemeinsam flüchten wollen. Nacheinander, einer nach dem anderen.
    Obwohl Hilario recht hat, ist es ziemlich unsinnig, weitere Verabredungen zu treffen, wenn sie erst mal den Maschinengewehren ausgesetzt sind, wird jeder rennen, was er kann, und wie sollen sie sich finden und zusammen bleiben, wenn es dunkel ist, wenn sie sich auf die Erde werfen und die Kugeln sie wie Kaninchen scheuchen. Auf jeden Fall kennt Sebastián, der junge Mann, der mit Emma befreundet ist, die Gegend und kann sie führen. Auch Quique hat sich angeboten, der ältere der beiden Brüder, die kurz vor dem Angriff ins Haus des POUM gekommen sind.

6. Kapitel
Sigüenza, Oktober 1936
    Mika war den Anweisungen des Marseillers genau gefolgt, aber als sie es fast geschafft hatte, nur noch ein paar Stufen, rutschte sie aus und stürzte mit dem Gewicht ihres ganzen Körpers auf die rechte Hand. Am Anfang tat es gar nicht weh. Sie sprang zur gegenüberliegenden Wand und wartete geduckt, bis alle unten waren.
    Unmöglich, in der undurchdringlichen Dunkelheit jemanden zu erkennen. Dass es Sebastián war, erfuhr sie, als er ihr im Vorübergehen seinen Namen ins Ohr flüsterte. Und kurz darauf erkannte sie Emma, direkt vor ihr, so klein machen konnte nur sie sich. Das Warten kam ihr ewig vor.
    Es geht weiter, flüsterte Emma ihr zu, und Mika sagte es dem Marseiller hinter sich.
    Die Menschenschlange rückte die Wand entlang voran. Die Mauer war niedrig, trotzdem durften sie sie keinesfalls überspringen, sie würden ein sicheres Ziel abgeben. Die Verabredung lautete, durch die nächste Maueröffnung über die offene Straße in Richtung Süden loszurennen. Aber da waren Häuser, in allen Ecken Maschinengewehre, die sie niederzumähen versuchten. Mika warf sich auf den Boden und wartete, bis die Abstände zwischen den Schüssen größer wurden. Sie hob den Kopf, wenige Meter vor ihr zeichnete sich die massige Gestalt des Marseillers ab, und sie rannte zu ihm. Eine kleine Gruppe Menschen stand um ihn herum.
    »Wo

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