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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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sind die anderen? Und ihre Führer?«
    »Ich werde sie holen«, antwortete der Marseiller, »wartet hier unter den Bäumen auf mich.«
    Ich weiß nicht, wo ich bin, wühle meine Hände in den Schlamm, grabe, kratze, erst wenn ich nicht mehr von der nassen Erde zu unterscheiden bin, werden sie aufhören, auf mich zu schießen, wenngleich wenige Meter vor mir die Kugeln durch die Pfützen spritzen. Sobald die Schüsse aufhören, hebe ich vorsichtig den Kopf, niemand ist da, ich bin allein. Mika, der Marseiller und die anderen sind sicher weiter gerannt. Wie eine Raupe krieche ich vorwärts. Ich bin der kalte, stinkende Schlamm oder er ist mein Körper. Ich sterbe vor Kälte, Angst, Ekel. Aber wenn ich aufstehe, töten sie mich.
    Die Zeit vergeht langsam, während ich vorwärtskrieche. Kommt es mir nur so vor oder schießen sie jetzt in eine andere Richtung? In einiger Entfernung sehe ich ein Haus, dort muss ich hin. Ich laufe, so nah am Boden wie ich kann, auf allen Vieren, habe mich vom Wurm zum Wiesel gewandelt, eine Erleichterung, nicht mehr nur dreckiger Schlamm zu sein. Geschafft, ich zittere am ganzen Leib. Bin ich in die Höhle des Löwen geraten? Wird gleich ein Faschistenschwein mit seinem Maschinengewehr herauskommen? Ich stehe auf, stelle mich an die Wand, so dicht ich kann, will nicht mehr sein als eine Erhebung im Häuserputz, husche an einer geschlossenen Tür vorbei, schaffe es bis zur nächsten Hausecke, dort pralle ich gegen etwas und falle hin. Plötzlich eine Hand auf meinem Mund, erstickt meinen Schrei, der Mann, mit dem ich zusammengestoßen bin, zerrt mich am Arm, drückt mich auf den Boden, nähert sein Gesicht dem meinen, seine Augen funkeln, er deutet mit einem angedeuteten Nicken auf das Haus. Langsam nimmt er seine Hand von meinem Mund, er weiß, dass ich nicht schreien werde, und genauso weiß ich, dass er einer von uns ist, und dort drinnen, in dem Haus, der Feind.
    In der Tür, an der ich gerade vorbeigehuscht bin, ein Maschinengewehr, jemand brüllt. Eine Hand packt die meine, eine Stimme an meinem Ohr: renn schnell, quer über die Straße. Ich habe keine Angst, ich bin nicht allein. Sogar die Nacht ist lichter. Wir gelangen zu einer Baumgruppe. Er umarmt mich.
    »Ich bin’s, Quique.«
    Er ist einer der Brüder, die am Tag vor dem Angriff der Faschisten zum Haus des POUM gekommen sind, derselbe, der mir schöne Augen gemacht hat.
    »Und ich bin Emma.«
    »Das weiß ich, komm mit, die Morgendämmerung darf uns nicht nahe der Stadt überraschen.«
    Sieben waren sie. Von denen, die zusammen aufgebrochen waren, nur Sebastián und Mika. Die anderen kannte sie nicht, drei junge Männer, ein alter Anarchist der FAI und ein junges Mädchen. Der Marseiller war nicht zurückgekommen, und auch Emma nicht. Sie glaubte, ihre Schreie gehört zu haben, als sie den Friedhof überquert hatten, hatte das Maschinengewehrfeuer sie erwischt? Allein der Gedanke war wie ein Stoß in die Magengegend, machte ihr die Knie weich. Und der Marseiller? Mika konnte nicht auf sie warten, die Gruppe wollte sofort weiter.
    Eine schwere Last. Nicht der zusammengerollte Mantel auf ihrem Rücken, nicht die Star in ihrem Patronengürtel, nicht der Karabiner und auch nicht die gebrochenen Finger ihrer Hand, sondern die Toten, wie viele waren es schon?
    Sie mussten so schnell wie möglich von der Stadt wegkommen, vorbei an den Patrouillen, sagte Mateo. Ein gestandener Mann, graumelierte Haare und schwarze Augen, leuchtend und ausdrucksstark.
    Sebastián führte sie: Sie müssen Richtung Südwesten.
    »Lasst uns schwören, dass wir uns nicht trennen werden, was auch immer passiert«, schlug Mateo vor.
    Sie schworen.
    Dennoch, Mika, wie viele Male auf diesem Weg wärst du Pilar, die Verlobte des Eisenbahners mit ihren Klagen, ihren Ängsten, ihren Gebeten am liebsten los gewesen. Und zeitweilig auch Paquito, den Jungen, der seinen älteren Bruder beim Verlassen der Kathedrale verloren hatte.
    Pilar gehörte keiner Organisation an, sie begleitete ihren Verlobten, einen Eisenbahner, Sozialisten, und es war schwierig, ihr irgendwelche Verhaltensregeln aufzuerlegen. Doch sie war ihnen auch eine Hilfe, hatte gerade nachts Augen wie ein Luchs, war die perfekte Späherin. Wenn sie nur nicht so viel und so gedankenlos geredet hätte.
    Paquito machte ihnen die erste Nacht nur Arbeit, und auch den ganzen nächsten Tag weinte er, wollte nicht weitergehen und brachte mehrmals die ganze Gruppe in Gefahr, weil er auf seinen Bruder wartete

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