Die Capitana - Roman
was sie war, eine reiche Bourgeoise, eine wildentschlossene Anarchistin zu sehen – wie Alfonsina sie nannte –, die glühende Briefe schrieb und für die Befreiung Simón Radowiskys kämpfte, eines jungen Anarchisten, der seit 1910 wegen der Ermordung des Polizeichefs Ramón Falcón in Haft war. Radowisky war eines meiner Idole. Ich musste diese Briefe mit eigenen Augen sehen, um es zu glauben. Man hatte mir erzählt, dass Salvadora an den Demonstrationen der Tragischen Woche 1919 teilgenommen und dass sie ihren kleinen Sohn mitgenommen hatte, damit er eine Vorstellung vom Klassenkampf bekam.
Und Salvadora wohnt in diesem Palast? Das ist inkonsequent, urteilte ich streng, für Hipólito hatte die Tragische Woche etwas anderes bedeutet.
Verschiedentlich hielt ich ihr über die Jahre Inkonsequenz vor, ohne dass meine Freundschaft zu Salvadora darunter litt. Eine Freundschaft, die sich in ihrer Tochter fortpflanzen sollte, China Botana, und in ihrem Enkel, dem genialen Copi, der genauso respektlos ist wie seine Großmutter und mit dem ich in Paris wundervolle Gespräche geführt habe. Doch als ich den mutigen Brief las, den Salvadora 1931 aus dem Gefängnis an Uriburo richtete, diesen Dreckskerl, mit dem die Serie der Putschregierungen in Argentinien begann, war ich sehr stolz auf sie. Ein außergewöhnlicher Brief, und eine Ohrfeige.
Das war nicht das letzte Mal, dass Salvadora mich mit ihrer Tatkraft überraschte. Als die Deutschen in Paris einmarschierten, war ich bereits in Argentinien – Salvadora hatte mich ein paar Monate zuvor auf das Schiff gesetzt.
Damals in den zwanziger Jahren pflegten wir uns in der Konditorei Ideal oder im Café Tortoni zu treffen. In Salvadoras Haus gingen viele Intellektuelle, Politiker und Künstler ein und aus, aber ich hielt mich nicht gern dort auf. Zu viel Prunk, zu viel Reichtum, und am Ende regte ich mich immer über irgendetwas auf. In den Konditoreien hingegen waren wir einfach zwei Frauen. Nicht irgendwelche Frauen, wir rissen Schranken nieder, waren wagemutig, unabhängig. Das vereinte uns, so wie anderes uns trennte.
Wir redeten über alles, über Politik, die Liebe, Männer und Frauen, Geschichte, Malerei, unsere Leben. Wir waren so unterschiedlich, und hatten doch so viel gemeinsam. Ich weiß, dass ich an einigen Entscheidungen Salvadoras meinen Anteil habe, und sie hat mich ermutigt, auf Schutz und Hilfe meiner Familie zu verzichten und mit Hipólito zu leben.
Was in jenen Jahren schwierig war, wenn man nicht in die Synagoge, Kirche oder aufs Standesamt wollte. Wir können heiraten, bot mir Hipólito an, als ich ihm von meinem Verhältnis zu meiner Familie erzählte. Aber das wollte ich nicht.
Ihr werdet doch nicht heiraten, nur damit deine Mutter nicht verärgert ist, sagte Alfonsina, und schon gar nicht wegen irgendwelchen Geredes, sagte Salvadora. Die Unterstützung und die Lebenserfahrung dieser beiden Freundinnen, die älter waren als ich, waren für mich sehr wertvoll.
Ich bewunderte Alfonsina für ihren Mut, sie zog ihren Sohn allein groß – auch sie war eine ledige Mutter –, schrieb dabei die wunderbarsten Gedichte und behauptete gegen alle Anfeindungen ihren Platz. Dazu kam ihr feiner Sinn für Humor. Wir lachten viel zu dritt, über die Politiker, die Journalisten, die Intellektuellen, über uns selbst.
Salvadora beschaffte mir eine Arbeit, in der ich mir ein paar Pesos verdienen konnte, ohne die Uni und mein politisches Engagement aufgeben zu müssen: Manuskripte abtippen. Das eine oder andere Theaterstück, Gedichte von ihr oder einem der mit ihr befreundeten Schriftsteller.
Den Schreibmaschinenkurs in der Berufsschule Pitman absolvierte ich in Rekordzeit, und die Schreibmaschine schenkte mir Salvadora. Ich habe ihr nie abgenommen, dass sie gebraucht war, sie hatte das nur erzählt, damit ich das Geschenk annahm: Journalisten sind ja so eigensinnig, sobald ein neues Modell heraus ist, wollen sie ihre alte Maschine dagegen eintauschen.
Eines Abends begleitete ich sie in die Redaktion von Crítica . Als ich die vielen Schreibtische mit den vielen Schreibmaschinen darauf sah, sagte ich mir, eine mehr oder weniger, was macht das schon aus.
Auf dieser Schreibmaschine schrieb ich einige Texte für eine Rubrik in Insurrexit , die »Börse« hieß, in der wir Artikel, die in den gängigen Tageszeitungen erschienen, hinterfragten und auseinandernahmen.
»Auch aus Crítica ?«, fragte mich Salvadora belustigt, als ich ihr von dem Konzept
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