Die Capitana - Roman
eine oder andere Anmerkung gehabt hätte. Aber es war gut, dabei gewesen zu sein, jetzt weiß sie, was sie erwartet. Heute Morgen hat sie die Entscheidung getroffen: Sie wird bei Insurrexit dabei sein. Was sie bei dieser Versammlung gehört hatte, fand sie äußerst anregend: Die Diskussion über Politik und gesellschaftliche Theorien, das Konzept der Zeitschrift, die geplanten Diskussionsrunden und Kurse in Kulturvereinen und Gewerkschaften.
Ein paar Leute kennt sie nicht, Pancho Piñeiro stellt sie einander vor.
»Micaela Feldman, aus Rosario, Anarchistin und Studentin der Zahnmedizin.«
Wem gibt sie an diesem Tag nicht alles die Hand, Herminia Brumana, Anarchistin, Lehrerin und Schriftstellerin, Juan Antonio Solario, Schriftsteller, Sekretär des Kulturvereins, Carlos Lamberti, Medizinstudent. Julio Barcos und Alfonsina Storni hat sie bereits beim letzten Mal kennengelernt. Alberto Astudillo, Architekturstudent, Anarchist und Marxist, Ángel Rosemblat, Philosoph, und endlich Hipólitos Hand, warm, herzlich, sein vertrauensvolles Lächeln, als würde er sie schon ein Leben lang kennen, und in seinen aparten grauen Augen diese große Freude. Ihretwegen? Kann das sein? Schmetterlingsflattern in ihrem Bauch. Nein, wie kann sie so etwas denken, diese Freude ist Ausdruck seiner Lust, die Welt zu verändern, seines großen Vorhabens. Die Versammlung hat schon begonnen, und Mika, die noch immer von diesem dummen Gedanken abgelenkt ist, will diesem strahlenden Blick ausweichen, der sie so durcheinanderbringt.
Was für außergewöhnliche Frauen hier zusammenkommen. Zu der Dichterin Alfonsina Storni hat sie sich sofort hingezogen gefühlt, ahnend, dass sie ihr viel würde beibringen können. Auch Herminia Brumana ist eine beeindruckende Frau, jedes ihrer Worte hat Gewicht, rüttelt auf, geht in die Tiefe, was sie gerade zum Thema Frau und Arbeit gesagt hat, findet sie absolut richtig: Erst wenn die Frau nicht mehr nur arbeitet, wenn sie Lust dazu hat, sondern weil die Umstände sie dazu zwingen, kann sie das Wahlrecht fordern, die Scheidung, die vollkommene gesellschaftliche und politische Gleichstellung, doch von diesem erstrebenswerten Zustand sind wir Lichtjahre entfernt. Mika teilt ihre Ansicht, sagt sie, darum sieht sie die Vertreterinnen des Frauenwahlrechts kritisch, ihr Ansatz ist vollkommen verfehlt.
»Ach ja, und warum?«, fragt Francisco und lacht.
»Das will ich gern erklären, wenn er aufhört zu lachen«, antwortet Mika scharf und sieht Alfonsina dabei an. »Worüber lacht Rinesi?«
»Ich lache nicht über dich, Mika«, sagt Francisco ernst. »Das war doch nur nett gemeint. Entschuldigung.«
Herminia stellt sich ihr zur Seite: Man soll nicht lachen, wenn man etwas fragt. Dann würde niemand mehr etwas einwenden wollen, denn wer setzt sich schon gern Gelächter aus, mehr ist dazu nicht zu sagen: Du hast das Wort, Mika.
»Die Verfechterinnen des Frauenwahlrechts wollen, dass wir Frauen wählen können. Nur was? Wen? Dass die Männer wählen ist Irrtum genug, warum das Übel noch verschlimmern, indem wir Frauen auch noch in die Wahllokale drängen. Das ist unbedacht.«
»Aber wollt ihr denn nicht die Unabhängigkeit?«, hört man von hinten Ángel Rosemblat.
»Die Wahl trägt nicht zur Unabhängigkeit bei. Die Wahlen, so wie sie ablaufen, sind eine Lüge, genau wie das Parlament.«
»So gesehen stimme ich zu«, sagt Julio Barcos. »Aber ich könnte mir vorstellen, dass du dir mit den Verfechterinnen des Frauenwahlrechts insoweit einig bist, als auch du die Gleichberechtigung von Mann und Frau forderst.«
»Wenn wir die Gleichberechtigung wollen, müssen wir erst für die Gleichberechtigung aller kämpfen, solange einige wenige von dem leben, was viele produzieren, solange es Ausbeutung gibt« – ermutigt von ihren eigenen Sätzen schwillt ihre Stimme an, bekommt diesen klaren Ton – »solange eine Klasse alles gibt und eine andere alles nimmt, wird die Frau nicht unabhängig sein, wird sie nicht den Platz einnehmen, der ihr gebührt.«
»Würdest du dir zutrauen, das aufzuschreiben?« Hipólito hat sie angesprochen!
»Interessante Sichtweise, das ist bedenkenswert«, sagt Alfonsina.
»Micaela hat nicht Unrecht«, sagt Herminia. »Es geht darum, was Vorrang hat.«
»Aber für diese grundsätzliche Frage haben unsere Schwestern, die Vertreterinnen des Frauenwahlrechts, keinen Sinn. Sie meinen es gut, aber sie sind blind.« Hipólitos Lächeln ermutigt sie, ihren Gedanken weiter auszuführen. »Ich
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