Die Champagnerkönigin
Verwalter dieses Weinguts, hat sich den Sommer über um die Weinberge gekümmert, so gut es ging, dennoch liegt vieles im Argen. Und jetzt, wo die Traubenernte unmittelbar bevorsteht, gäbe es so vieles, was Claude mit Madame Feininger zu besprechen hätte! Aber sie hat kein Ohr für ihn und seine Anliegen.« Die alte Frau schüttelte bekümmert den Kopf. »Dabei geht es dieses Jahr um alles oder nichts.«
»Und warum ist das so?«, fragte Clara mit belegter Stimme. Das hörte sich alles sehr dramatisch an.
»Nun, bedenken Sie, dass uns bald der Jahreswechsel von 1899 auf 1900 bevorsteht, da wird mit Sicherheit noch mehr Champagner getrunken als sonst. Und die Kunden werden ihre Wahl mit noch größerer Sorgfalt treffen, das Beste wird für einen solchen Tag, wie ihn nur wenige Menschen erleben dürfen, gerade gut genug sein!« Die Rede erhitzte die alte Winzerin so sehr, dass ihre Wangen zu glühen begannen. »Aber vergessen wir die bevorstehende Jahrhundertwende. Diese Ernte ist in jedem Fall für Madame Feininger von existentieller Bedeutung, denn von dem Geld, das sie durch den Verkauf der Trauben erzielt, muss sie ein ganzes Jahr lang leben. Doch statt mit Claude alle nötigen Vorkehrungen für einen reibungslosen Ablauf der Ernte zu treffen, sitzt Ihre Freundin tatenlos herum und starrt mit leerem Blick vor sich hin. Manchmal befürchte ich, sie hat den Verstand verloren. Wirklich, ich weiß mir keinen Rat mehr …« Die Französin zuckte resigniert mit den Schultern.
Clara spürte, wie ihr Herz sank. »So schlimm sieht es aus?«
Micheline Guenin verzog das Gesicht, als hätte sie Zahnweh. »Schlimmer noch. Inzwischen hat es sich in der ganzen Gegend herumgesprochen, dass Isabelle nicht auf die Beine kommt. Die Geier lauern schon darauf, dass sie endgültig aufgibt. Land ist in der Champagne das rarste Gut von allen, nur jener Wein, der hier angebaut wird, darf sich Champagner nennen! Die Aussicht, dass die Witwe Feininger ihr Weingut zum Verkauf anbietet, beschäftigt derzeit so einige Gemüter.« Eine steile Zornesfalte bildete sich während der letzten Worte auf Michelines Stirn.
Auch Clara zog die Augenbrauen zusammen. »Aber das schöne Haus, die Weinberge – alles sieht so üppig aus. Isabelle hat doch nicht ernsthaft vor, sich davon zu trennen, oder?«
Die Nachbarin zuckte mit den Schultern. »Wenn nicht bald etwas geschieht, wird ihr wohl keine andere Möglichkeit bleiben.«
Josefine zeigte auf das Ende des langen Esstisches, wo in einem Korb ein riesiger Stapel Briefe lag. »Ist das etwa – Geschäftspost?«
Micheline schaute sie an. »Nicht nur. Das ist die Post der letzten Monate. Private Kondolenzschreiben, Briefe, Rechnungen, was weiß ich!« Sie schüttelte den Kopf. »Isabelle und ich – wir sind uns zwar freundschaftlich verbunden, aber ich würde es nie wagen, ihre Korrespondenz zu öffnen.«
»Wollen Sie damit sagen, dass sämtliche geschäftlichen Belange seit Leons Tod brachliegen?«
Micheline nickte.
Clara glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als sie sah, wie sich Josefine resolut nach vorn beugte, um den Korb zu sich zu ziehen.
»Auch wenn dir als Geschäftsfrau das Herz blutet angesichts solcher Nachlässigkeiten – wir sind wegen Isabelle hier. Um sie geht es in erster Linie und nicht um das Weingut oder sonst etwas«, sagte sie in scharfem Ton und auf Deutsch. Doch als sie Josefines kläglichen Blick sah, erkannte sie, dass die Freundin lediglich nach einer Möglichkeit suchte, das Unaufschiebbare noch für eine Weile aufzuschieben.
Micheline, die dem Wortwechsel stumm gefolgt war, räusperte sich. »Bevor Sie zu Ihrer Freundin gehen, sollte ich Sie vielleicht vorwarnen …«
Clara und Josefine schauten die Frau stirnrunzelnd an. Noch mehr schlechte Nachrichten?
Sie hörte Stimmen. Es waren die von Clara und Josefine. Das war seltsam. Sie hörte oft Stimmen, aber meist war es die von Leon. Er sprach täglich zu ihr. Sie verstand nicht, was er sagte, was er von ihr wollte, und es war auch einerlei. Denn er hatte sie verlassen. Sie war allein. Allein auf einer Insel inmitten eines schwarzen Ozeans aus Einsamkeit. Die Stimmen waren wie Wellen, die gegen das Ufer schwappten, sie kamen und sie gingen. Manchmal hörte sie auch Geräusche aus ihrer Kindheit: das Klappern von Töpfen, wenn sich Mutters neue Köchin an einem aufwendigen Dinner versuchte. Josefine, die Steinchen an ihr Fenster warf, um ihr zu sagen, dass sie unten für die nächste Radtour bereitstand. Wie
Weitere Kostenlose Bücher