Die Champagnerkönigin
Josefine schenkte den Champagner aus. Jede der drei Frauen nahm ein Glas, ein wenig ratlos hielten sie es in die Höhe. Es war Clara, die die unangenehme Stille als Erste brach.
»Auf unser Wiedersehen!«
»Auf unser Wiedersehen!«
Nachdem jede einen Schluck getrunken hatte, ergriff Josefine das Wort. »Und wie geht es dir jetzt? Kommst du einigermaßen gut zurecht?«
Isabelle schaute die Freundin mit leerem Blick an.
Josefine machte eine weitausholende Handbewegung. »Die Weinberge, die bevorstehende Ernte, bestimmt hast du auch einige Mitarbeiter, die es anzuleiten und zu beaufsichtigen gilt. Schaffst du das alles?«
»Josefine«, sagte Clara mahnend. »Isabelle ist gewiss nicht in der Verfassung, über geschäftliche Dinge zu reden. Du hast noch gar nichts gegessen, meine Liebe. Die Suppe ist köstlich, so probiere sie doch wenigstens«, sagte sie in übertrieben aufmunterndem Ton.
Isabelle ignorierte ihre Worte. Mit niedergeschlagenen Augen sagte sie: »Um ehrlich zu sein … habe ich die Zügel ziemlich schleifen lassen. Ich kann mich einfach zu nichts aufraffen. Wozu das alles?, frage ich mich. Ich kann doch nicht in die Weinberge gehen und so tun, als wäre alles in Ordnung! Ohne Leon hat doch eh alles keinen Sinn. Ich …, ach …« Sie schüttelte den Kopf. Es war das erste Mal seit Leons Tod, dass sie versuchte, ihren Zustand in Worte zu fassen. Es gelang ihr nicht sonderlich gut. Zornig schaute sie die beiden Freundinnen an. Wie sie dasaßen! Verschont geblieben vom Tod – und vom Leben. Nichts wussten die beiden, gar nichts.
»Wie kannst du sagen, dass dein Leben keinen Sinn hat?«, sagte Clara leise. »Du trägst ein Kind unter dem Herzen, Leons Kind! Willst du etwa behaupten, dass es sich nicht lohnt, dafür zu leben?«
»Leons Kind«, wiederholte Isabelle tonlos. »Er hat sich so gefreut.« Sie starrte an sich hinab wie an einem Fremdkörper. »Ich selbst kann keine Freude empfinden. Immer wieder bete ich, dass das alles nur ein großer Irrtum ist. Ein böser Traum, versteht ihr? Die ganze Zeit denke ich: Gleich kommt Leon um die Ecke, und ich erwache, und alles ist gut. Aber aus diesem Alptraum gibt es kein Erwachen.« Und schon füllten sich ihre Augen erneut mit Tränen. »Ich vermisse ihn so sehr …«
Dieses Mal war es Josefine, die ihre Hand nahm und drückte.
Isabelle erzählte, und sie weinte. Als die Sonne fort war, wurde es sogleich empfindlich kalt. Clara ging ins Haus und kam kurz darauf mit einem Stapel Decken zurück. Josefine zündete zwei große Kerzen an. Nachdem sie es sich wieder bequem gemacht hatten, erzählte Isabelle weiter. Von Leons Radsportambitionen und davon, dass er das Weingut hatte verkaufen wollen. Von ihrer Verzweiflung, als sie davon erfuhr. Von ihrer Liebe zu dem Haus, von ihrem Gefühl, zum ersten Mal in ihrem Leben angekommen zu sein.
»Hier gehöre ich hin!, dessen war ich mir so sicher. Ich habe wie um mein Leben geredet, um Leon davon zu überzeugen, das Weingut nicht zu verkaufen. Zum Glück hatte Micheline mir zuvor einen entscheidenden Hinweis gegeben, wie ich mit dem Weingut auf einfachere Weise Geld verdienen kann. Als ich Leon meine Ideen vortrug, hat er schließlich eingewilligt, unter der Voraussetzung, dass ich mich um alles kümmere und er sich seinem Sport widmen kann.«
»Das hat er dir zugetraut?«, fragte Clara beeindruckt.
Isabelle nickte lächelnd. Stirnrunzelnd horchte sie in sich hinein. Während des Erzählens hatte sie etwas gespürt, eine leise Bewegung tief in ihrem Herzen. Doch sie konnte es nicht benennen, wusste nur, dass es sich fremd und ungewohnt anfühlte. Gefühle …
Die Glocke vom Kirchturm unten im Dorf schlug ein Uhr, als sie sagte: »Nach seinem Unfall war Leon wie geläutert, von einem Verkauf wollte er plötzlich nichts mehr wissen, stattdessen wollte er sich mit seiner ganzen Energie in die Arbeit hier werfen. Zu zweit wollten wir das Gut Feininger zum Erfolg führen. Wir waren beide so voller Hoffnung und Zuversicht, wollten es allen zeigen! Und dann –« Sie schluchzte auf. »Nun ist nichts mehr, wie es war. Ich bin allein, und vor mir steht dieser riesengroße Berg ungelöster, unüberwindlicher Probleme.«
Es war schon fast zwei Uhr, als Clara und Josefine in einem der Gästezimmer zu Bett gingen. Vorher hatten sie aufgeräumt und Isabelle in ihr Zimmer gebracht.
»Ich bin so froh, dass ihr da seid«, waren ihre letzten, geflüsterten Worte.
Du lieber Himmel, wohinein sind wir hier nur geraten,
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