Die Champagnerkönigin
Isabelle. Der Reiseführer hatte so viele Sehenswürdigkeiten aufgezählt! Museen, prachtvolle Plätze, sogar einen Triumphbogen aus dem dritten Jahrhundert gab es in Reims. Und da – das Hutgeschäft! Sehnsüchtig betrachtete sie eine lilafarbene Komposition aus Federn, Tüll und Perlen.
»Morgen ist auch noch ein Tag«, sagte Leon bestimmt. »Jetzt lass uns die gute französische Küche genießen.«
In ihrem früheren Leben, in Berlin, hatte Isabelle nichts dabei gefunden, in einem feinen Restaurant wie dem »Café le Théâtre« zu speisen. Ganz im Gegenteil – chic gekleidet, am Arm ihres Vaters, der stets einen der besten Tische zugewiesen bekam, hatte sie sich wohl wie ein Fisch im Wasser gefühlt. Doch nun, mit Leon an einem Zweiertisch in der Nähe der Tür, schaute sie sich befangen um. Alles war hier so überaus elegant! Jeder Tisch war doppelt mit weißem Leinen eingedeckt. Kerzen in opulenten, mehrarmigen Leuchtern standen auf jedem Tisch, das Besteck war aus Sterlingsilber, schnörkellos und auf Hochglanz poliert. Noch viel strahlender als Silber und Kerzenlicht jedoch war die Gästeschar, die sich hier zum Essen eingefunden hatte. Die Damen trugen mit Kämmen verzierte aufwendige Hochsteckfrisuren und die neueste französische Mode. Alle waren geschminkt mit Wangenrouge und Lippenrot, viele hatten ihre Augen dramatisch umrandet oder ihre Brauen mit einem dunklen Stift nachgezogen. Die Herren wirkten lässig elegant in dunkelgrünen Junkern und Hosen. Diamantschmuck glitzerte im Blusenausschnitt jeder Dame, ihre Begleiter zückten goldene Taschenuhren. Auch die Feste in Berlin waren glanzvoll gewesen, doch hatte immer ein Hauch preußischer Bescheidenheit mitgeschwungen. Hier jedoch herrschte eine solch verschwenderische Opulenz, wie Isabelle sie nur selten erlebt hatte. In ihrem Reisekleid, unter dem sie nicht einmal ein Korsett trug, kam sie sich ärmlich, mehr noch, geradezu unschicklich gekleidet vor. Hätte sie sich doch wenigstens die Mühe gemacht, ihre Haare ordentlich hochzustecken!
Doch der Kellner, der sie bediente, war keine Spur herablassend, wie Isabelle es aus allzu feinen Berliner Restaurants kannte, sondern zuvorkommend und sehr höflich. Freundlich erklärte er die Gerichte auf der Speisekarte, und Leon tat so interessiert, als könnte er den wortreichen Ausführungen folgen. Isabelle schmunzelte.
»Wir nehmen als Vorspeise den pochierten Lachs und danach den Rehbraten«, sagte Leon, als der Ober zum Ende gekommen war. » Le rôti de chevreuil und dazu une carafe d’eau .«
»Ich dachte, du kannst kein Französisch«, sagte Isabelle erstaunt, kaum dass der Kellner außer Reichweite war.
»Nun ja, für das Nötigste reicht es aus. Ich habe dir doch erzählt, dass ich auch schon in Frankreich sehr erfolgreich Rennen gefahren bin. Da schnappt man hier und da einen Satz auf. Englisch kann ich übrigens auch ein wenig; als ich damals in London Rennen gefahren bin, hatte ich das Gefühl, die Sprache falle mir sogar besonders leicht …« Gedankenverloren fügte er hinzu: »Weißt du, ich hatte nie die Möglichkeit, auf eine weiterführende Schule zu gehen, in Nothzeit gibt’s ja nur die Dorfschule. Und meine Eltern wären nicht auf die Idee gekommen, mich nach Pirmasens oder sonst wohin zur Schule zu schicken. Ich hätte schon Lust gehabt, mehr zu lernen. Aber meine Eltern waren der Ansicht, das Gymnasium sei nur etwas für Reiche, aber nichts für einen Winzerbuben. Deshalb habe ich mich selbst nach etwas umgeschaut, bei dem ich mich beweisen kann, und so bin ich aufs Radfahren gekommen. Die Eltern hatten nichts dagegen einzuwenden, weil es sich gut mit der Arbeit auf dem Hof vereinen ließ, und endlich hatte auch ich ein paar hochgesteckte Ziele. Aber manchmal denke ich, aus mir hätte vielleicht ein bisschen mehr werden können als nur ein guter Radfahrer.«
»Ach Leon …«, sagte Isabelle gerührt. »Ich weiß genau, wovon du sprichst! Auch mein Vater hat mir nie etwas zugetraut. Für ihn war ich immer nur eine Art ›Handelsware‹, die es bestmöglich an den Mann zu bringen galt. Aber was zählt, ist doch das Hier und Jetzt! Du wirst ein wunderbarer Gutsbesitzer sein, auch ohne höhere Schulbildung. Und ich vermag auch endlich allen zu zeigen, dass ich mehr kann als nur die Zierde am Arm eines reichen Unternehmers zu sein. Gemeinsam sind wir stark.«
Leon nickte. »Du hast recht, von nun an werden wir es allen zeigen!«
Während sie auf ihr Essen warteten, schweifte
Weitere Kostenlose Bücher