Die Champagnerkönigin
Isabelles Blick immer wieder durch das gutbesuchte Restaurant.
Alle Tische waren besetzt, eine ganze Armada von Kellnern war bemüht, Speisen und Getränke an die Tische zu bringen. Immer wieder wehte eine Woge feinster Gerüche zu ihnen herüber. Herrlich verzierte Pasteten, Kaviar, aufgetürmt in feinsten Kristallschalen, ganze Fische, gebacken in einer Salzkruste und am Tisch der Gäste filetiert – hier kam wohl nur das Beste auf die Teller! Auf jedem Tisch standen außerdem in Eis gekühlte Champagnerflaschen, mit feingeschliffenen Gläsern prosteten sich die Gäste zu, am Nachbartisch, an dem besonders elegant gekleidete Herrschaften saßen, wurde gerade eine neue Magnumflasche aufgetragen. Kein Wunder, dass an diesem Tisch die Stimmung besonders gut zu sein schien. Seufzend nippte Isabelle an ihrem Wasserglas.
»Das ist der Stammtisch der Champagnerwinzer«, flüsterte der Kellner, der ihren Blick bemerkt hatte, Isabelle lächelnd zu. »Die Damen und Herren treffen sich jeden Monat einmal hier bei uns, derzeit in hervorragender Stimmung.« Er lächelte wohlwollend, dann stellte er je einen Teller vor Isabelle und Leon. Schwungvoll hob er die silbernen cloches , mit denen die Speisen abgedeckt waren, hoch. »Lachspastete nach Art des Hauses – bon appétit !«
Während sich Leon über die Vorspeise hermachte, als hätte er seit Tagen nichts gegessen, spürte Isabelle, wie sich auch ihre anfängliche Gehemmtheit in Luft auflöste. Sie nahm einen Bissen von dem butterzarten Fisch, und er schmeckte einfach köstlich. Die ausgelassene Stimmung, die durch die beschwingten Klänge eines Streicherduetts noch untermalt wurde, wirkte plötzlich sehr ansteckend.
Isabelle zwinkerte Leon zu.
»Wenn alle hier Champagner trinken, kann er doch nicht so teuer sein, oder? Wollen wir nicht auch …? Ich meine, wenn nicht jetzt, wann dann?«
»Monsieur, die Getränkekarte!«, rief Leon strahlend den Kellner zurück. Doch als dieser ihm die aufgeschlagene ledergebundene Karte reichte, erstarb sein Lächeln. »Das … das sind ja über hundert Sorten Champagner!«, rief er so laut, dass sich sogleich ein paar Köpfe an den Nachbartischen nach ihnen umdrehten. Einige der Damen kicherten.
Isabelle reckte ihren Hals, um ebenfalls einen Blick in die Karte werfen zu können. Veuve Clicquot Ponsardin, Piper Heidsieck, Jean-Remy Moët, Louis Roederer, Dom Pérignon – die Auflistung nahm wirklich kein Ende. Sie blinzelte. Und dann die Preise, die hinter jeder Marke standen! Der Genuss einer einzigen Flasche würde ein empfindliches Loch in ihren Geldbeutel reißen.
Während Isabelle nach einem Weg suchte, elegant aus dieser Angelegenheit herauszukommen, beugte sich eine der Damen vom Winzerstammtisch zu ihnen herüber. Ihre hochtoupierten braunen Haare waren mit perlenbesetzten Nadeln zusammengesteckt, ihr Gesicht dramatisch geschminkt. Sie trug ein schulterfreies Kleid, und obwohl sie nicht mehr die Jüngste war, war ihr Dekolleté prall wie das einer Zwanzigjährigen. Es wurde geziert von einem goldenen Collier mit einem tropfenförmigen Diamantanhänger in der Größe einer Haselnuss.
»Gestatten Sie mir einen Rat?«, sagte sie mit ungewöhnlich tiefer Stimme. Im selben Moment erhob sie ihr Champagnerglas, als wolle sie ihnen zuprosten.
»Wenn er von einer solchen Schönheit wie Ihnen kommt …«, erwiderte Leon mit einem gewissen Unterton. Seine Pupillen weiteten sich eine Spur, so wie sie es immer taten, wenn ihm eine Frau gefiel. Isabelle verzog den Mund.
»Nicht alles, was teuer ist, ist auch gut«, sagte die Dame mit einer wegwerfenden Geste zu der Champagnerkarte, und eine Woge schweren Parfüms umhüllte ihre Worte. »Bestellen Sie einfach eine Flasche Trubert Millésime und Sie haben das Beste im Glas, was die Champagne bieten kann!«
Ihre Worte wurden von ihrer Tischrunde mit einem Lachen bestätigt, in das die Dame sogleich mit einfiel. Alle redeten durcheinander, ein Champagnername nach dem anderen wurde genannt.
Während Leon in das Lachen einfiel, konnte sich Isabelle gerade einmal eine gequälte Grimasse abringen. Auch wenn sie nicht verstand, worum es am Nachbartisch ging, so hatte sie doch das unangenehme Gefühl, dass ein Scherz auf ihre Kosten gemacht worden war. Abrupt wandte sie sich an den geduldig wartenden Kellner.
»Eine Flasche Feininger, bitte«, sagte sie laut und betete im Stillen darum, dass der Champagner von Leons Onkel auch auf der Karte stand.
In der Theaterbar, Reims –
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