Die Chancellor
Luft, die uns verzehrt, ein wenig Wasserdunst bei-
mische, daß er die unausstehliche Hitze mäßige, welche
die feurige Sonne vom Zenit herabgießt.
Der Abend ist gekommen, und bis Mitternacht, d.h.
bis zu der Stunde, da der Mond aufgeht, der in sein letz-
tes Viertel tritt, wird es dunkel sein. Die etwas verschlei-
erten Sternbilder flimmern nicht mit dem hellen Licht
der kalten Nächte.
Eine Beute eines wahrhaften Deliriums und unter der
Qual des fürchterlichsten Hungers, der sich immer mit
Anbruch des Tages zu verdoppeln scheint, strecke ich
mich auf einen Haufen Segel, die am Steuerbord liegen,
und neige mich über das Wasser, um seine Frische ein-
zuatmen.
Wie viele meiner Gefährten, die an ihrem gewohn-
ten Platz liegen, mögen wohl im Schlummer ein Ver-
gessen ihrer Leiden finden? Vielleicht keiner! Was mich
betrifft, so ist mir der Kopf wüst und leer und von ängst-
lichem Alpdrücken belastet.
Inzwischen bin ich einer krankhaften Betäubung, die
weder Wachen noch Schlaf zu nennen ist, verfallen, und
es ist mir unmöglich, anzugeben, wie lange ich mich in
diesem Zustand der Prostration befunden hatte, als ich
plötzlich durch ein eigentümliches Geräusch wieder zu
mir kam.
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Ich glaubte zu träumen, denn meine Nase traf ein an
Bord ganz unbekannter Duft, den der Wind mir dann
und wann zuwehte. Meine Nasenlöcher erweiterten sich
. . . »Was bedeutet dieser Geruch!« bin ich schon ver-
sucht auszurufen . . . eine Art Instinkt hält mich davon
zurück, und ich suche, so wie man in seinem Gedächt-
nis einem vergessenen Wort oder Namen nachzuspüren
pflegt.
Einige Augenblicke vergehen so. Die Intensität jener
Ausdünstung, die stärker zu werden scheint, läßt mich
sie gieriger aufsaugen.
»Das ist ja aber«, sage ich mir plötzlich, wie ein
Mensch, der sich besonnen hat, »das ist ja der Geruch
von geräuchertem Fleisch.«
Noch einmal suche ich mich zu versichern, daß
meine Sinne mich nicht getäuscht haben, und doch, auf
diesem Floß . . .
Ich erhebe mich auf die Knie, ich rieche von neuem,
ich, man verzeihe mir den Ausdruck – ich durch-
schnüffle diese Luft ringsum; und noch einmal trifft je-
ner Geruch meine Nase. Also befinde ich mich unter
dem Wind von jenem lieblich duftenden Gegenstand,
und folglich ist er auf dem Vorderteil des Floßes zu su-
chen.
So schleiche ich denn, kriechend wie ein Tier, von
meinem Platz und stöbere überall, nicht mit den Augen,
aber mit der Nase umher, gleite unter den Segelstücken
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hin, in und durch das Untergestell, immer mit der Vor-
sicht einer Katze, um die Aufmerksamkeit meiner Ge-
fährten nicht zu erregen.
Einige Minuten lang krieche ich so in alle Winkel,
vom Geruch wie ein Spürhund geführt. Bald verliere
ich die Spur, entweder wenn ich mich zu weit von ihr
entfernte, oder der Wind sich vollkommen legte, und
bald trifft mich die Ausdünstung mit erneuter Stärke.
Endlich bin ich imstande, die Spur festzuhalten, ihr zu
folgen, und ich fühle es gleichsam, daß ich jetzt auf den
Gegenstand meiner Nachforschung direkt zugehe!
Da erreiche ich im Vorderteil die Ecke am Steuerbord
und erkenne jetzt deutlich, daß jener Geruch von einem
Stück geräucherten Speck herrührt. Nein, ich täusche
mich nicht; es ist mir, als ob alle Nervenpapillen meiner
Zunge vor Verlangen sich strotzend erhöben!
Jetzt schlüpfe ich unter einen dicken Haufen Segel-
werk. Niemand sieht mich, niemand hört mich. Ich
gleite auf den Knien, auf den Ellenbogen hin. Ich stre-
cke den Arm aus, und meine Hand erfaßt einen in Pa-
pier gewickelten Gegenstand. Schnell hole ich ihn her-
vor und sehe ihn beim Schein des Mondes, der gerade
jetzt über den Horizont emporsteigt, näher an.
Es ist keine Illusion! Ich halte ein Stück Speck in der
Hand, kaum ein Viertelpfund, doch das vermag für ei-
nen ganzen Tag meine Qualen zu stillen, und schnell
führe ich es zum Mund.
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Da hält eine andere Hand meine zurück. Ich drehe
mich um, kaum kann ich mich eines Murrens enthalten,
und erkenne den Steward Hobbart.
Jetzt wird mir alles klar; das eigentümliche Beneh-
men Hobbarts, seine relativ gute Gesundheit, seine er-
heuchelten Klagen. Bei Gelegenheit des Schiffbruchs
hat er einigen Mundvorrat zu bergen gewußt, den er in
einem Versteck unterbrachte, und er hat sich genährt,
während wir anderen vor Hunger sterben wollten! Oh,
der Schurke!
Doch nein! Hobbart hat
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