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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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so muß er einen solchen herzustellen su-
    chen. Robert Kurtis und Daoulas haben ihn verstanden
    und halten Rat, während sie durch Auswerfen von Holz-
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    stücken und Seilenden bemüht sind, die Quermäuler in
    der Nähe des Floßes aufzuhalten.
    Daoulas holt sein Zimmermannsbeil, das er als An-
    gel zu benutzen gedenkt und dessen scharfe Schneide
    oder die derselben entgegengesetzte Spitze sich wohl in
    der Kinnlade eines Hais festsetzen könnten, wenn einer
    darauf anbeißt. Der hölzerne Stiel des Beils wird also
    an ein Greling (d.i. die kleinste Art Kabeltaue) befestigt
    und dieses an einen Tragbalken der Plattform gebun-
    den.
    Diese Vorbereitungen reizen unser Verlangen aufs äu-
    ßerste, und zitternd vor Ungeduld suchen wir die Auf-
    merksamkeit der Haie auf jede mögliche Weise rege zu
    halten, um sie nicht wegschwimmen zu lassen.
    Der Haken ist bereitet, aber wieder fehlt es an ei-
    nem Köder, und der Hochbootsmann, der vor sich hin-
    murmelnd da- und dorthin läuft und das ganze Floß
    durchsucht, hat das Aussehen, als forsche er nach einem
    Leichnam unter uns . . .!
    Man muß endlich nochmals zu der schon früher ver-
    suchten Aushilfe greifen, das Eisen des Beils mit einem
    Stück roten Stoffs zu umwickeln, den wiederum Miss
    Herbeys Shawltuch liefert.
    Der Hochbootsmann will aber nichts ohne die sorg-
    samsten Vorsichtsmaßnahmen für ein glückliches Ge-
    lingen unternehmen. Ist der Haken auch haltbar genug
    befestigt? Wird die Leine, die diese Angel mit dem Floß
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    verbindet, nicht reißen? Wird der Tragbaum das Zerren
    eines gefangenen Hais aushalten? Der Hochbootsmann
    informiert sich erst über all diese jetzt sehr wichtigen
    Punkte und läßt erst dann sein Angelgerät ins Wasser
    gleiten.
    Das Meer ist so klar und durchsichtig, daß man in
    einer Tiefe von 100 Fuß noch jeden Gegenstand zu un-
    terscheiden vermag. Ich folge dem hinabsinkenden Hai-
    fischhaken, dessen rote Umhüllung sich leuchtend vom
    Wasser abhebt, bequem mit den Augen.
    Passagiere und Matrosen, alle lehnen wir über die
    Schanzkleidung geneigt und beobachten das tiefste
    Schweigen. Es scheint aber, als ob die Haie, seitdem ih-
    nen dieser sonderbare Köder zugeworfen wurde, nach
    und nach verschwänden. Doch können sie unmöglich
    weit entfernt sein und würden gewiß jede ihnen er-
    reichbare Beute schnell verschlingen.
    Plötzlich gibt der Hochbootsmann mit der Hand ein
    Zeichen und weist auf eine ungeheure Masse, die auf
    das Floß zu gleitet und fast die Oberfläche des Was-
    sers streift. Es ist ein wohl 12 Fuß langer Hai, der die
    Tiefe verlassen hat und in gerader Linie auf uns zu-
    schwimmt.
    Sobald das Tier nur noch 4 Faden vom Floß entfernt
    ist, zieht der Hochbootsmann vorsichtig seine Leine an,
    um den Haken jenem zu Gesicht zu bringen, und teilt
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    dem roten Packen eine leichte Bewegung mit, die ihm
    das Aussehen eines lebenden Körpers verleiht.
    Ich fühle das heftige Klopfen meines Herzens, als
    wohne meine ganze Lebenskraft nur in diesem Organ!
    Indessen nähert sich der Hai; seine gierigen, gro-
    ßen Augen leuchten fast auf der Oberfläche des Meeres
    und seine halbgeöffneten Kiefern zeigen die furchtbare
    Reihe seiner spitzen Zähne.
    Da erhebt sich ein Schrei . . .! Der Haifisch hält an
    und verschwindet in der Tiefe des Wassers.
    Wer von uns hat diesen Schrei, wenn auch unwillkür-
    lich, ausgestoßen?
    Sofort erhebt sich der Hochbootsmann bleich vor
    Zorn.
    »Den ersten, der ein Wort spricht, schlage ich nie-
    der«, sagt er.
    Dann geht er wieder an seine Arbeit.
    Alles in allem hat er wohl recht, der Hochboots-
    mann.
    Der Haifischhaken wird wieder hinabgelassen, doch
    während einer halben Stunde erscheint kein solcher
    Seeräuber wieder, so daß man den Apparat bis auf 20
    Faden Tiefe hinabgehen läßt. Doch kommt es mir vor,
    als wenn die tieferen Wasserschichten etwas getrübt wä-
    ren, woraus man wohl auf die Anwesenheit jener Quer-
    mäuler schließen könnte.
    Wirklich bemerkt man an der Leine plötzlich ein so
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    heftiges Rucken, daß sie den Händen des Hochboots-
    manns entgleitet; da sie aber an den einen Tragbalken
    des Floßes sicher befestigt ist, hat sie deshalb nicht ver-
    lorengehen können.
    Ein Haifisch hat angebissen und sich gleichsam selbst
    harpuniert.
    »Zu Hilfe, Jungs, zu Hilfe!« ruft der Seemann.
    Sofort ergreifen alle, Passagiere und Matrosen, die
    Angelleine. Die Hoffnung leiht uns neue Kräfte, doch
    kaum wollen diese

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