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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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vielleicht ganz klug gehan-
    delt. Ich finde, daß er ein sehr vorsichtiger Mann ist,
    und wenn er ohne Wissen der Übrigen etwas an Nah-
    rungsmitteln aufbewahrt hat, so ist das desto besser für
    ihn . . . und für mich.
    Hobbart ist aber dieser Meinung nicht. Er ergreift
    meine Hand und sucht mir das Stück Speck wieder zu
    entreißen, doch ohne ein Wort zu sprechen, da er die
    Aufmerksamkeit der andern zu erregen fürchtet.
    Wir kämpfen schweigend, denn ich habe ja dieselbe
    Ursache, still zu sein. Ich will natürlich nicht, daß noch
    andere dazukommen, mir meine Beute abzujagen, und
    wehre Hobbart mit allen Kräften ab; da höre ich ihn die
    Worte zwischen den Zähnen murmeln: »Mein letztes
    Stückchen! Mein letzter Bissen!«
    Sein letzter Bissen! Aber er muß um jeden Preis mein
    werden, und ich packe meinen Gegner an der Gurgel,
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    der unter meinen Händen nach Luft schnappt und be-
    wegungslos zusammensinkt – die Beute ist mein!
    Und während ich Hobbart noch immer niederhalte,
    zermalme ich den Speck zwischen den Zähnen . . .
    Dann lasse ich den Unglücklichen los, krieche wieder
    fort und nehme meinen Platz am Heck wieder ein.
    Niemand hat mich bemerkt. Ich habe einmal geges-
    sen!
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    18. Januar. – Ich erwarte den Tag mit einer ganz ei-
    gentümlichen Angst! Was wird Hobbart sagen? Mir
    scheint, er habe ein Recht dazu, mich zu denunzieren!
    Doch nein! Das ist absurd. Wenn ich das Vorgefallene
    erzählen wollte, wenn ich sagte, wie gut Hobbart lebte,
    während uns der Hungertod angrinste, wie er sich so
    lange Tage ohne unser Wissen genährt hat, seine Ge-
    fährten würden ihn ohne Erbarmen zerfleischen.
    Und doch . . . ich wünschte, es wäre erst heller Tag.
    Augenblicklich ist mein hungriger Magen befrie-
    digt worden, obgleich das Stückchen Speck nur klein,
    nur »ein Bissen«, der letzte war, wie der Unglückliche
    sagte. Indessen, ich leide jetzt nicht mehr, und doch, ich
    gestehe es offen, mache ich mir fast Vorwürfe, den er-
    bärmlichen Rest nicht mit meinen Unglücksgefährten
    geteilt zu haben. Ich hätte an Miss Herbey, an André,
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    an seinen Vater denken sollen . . . und ich habe nur an
    mich gedacht!
    Der Mond steigt langsam nieder, und bald folgt ihm
    das erste Morgenlicht. Schnell wird es Tag werden, denn
    wir befinden uns unter jenen niedrigen Breiten, die we-
    der Morgen- noch Abenddämmerung kennen.
    Ich habe kein Auge zutun können; sobald es einiger-
    maßen hell wird, scheint es mir, als schwanke eine un-
    förmliche Masse in halber Höhe am Mast.
    Was mag das sein? Noch vermag ich es nicht zu er-
    kennen und bleibe ausgestreckt auf meinem Segelbün-
    del.Doch endlich streifen die ersten Sonnenstrahlen über
    das Meer, und bald sehe ich einen Körper, der an einem
    Strick hängt und den Bewegungen des Floßes folgt.
    Eine schreckliche Ahnung überschleicht mich frös-
    telnd und ich nähere mich dem Mast . . .
    Es ist ein Erhängter; und dieser Erhängte ist – der
    Steward Hobbart, dieser Unglückliche, und ich, ja ich,
    habe ihn zum Selbstmord getrieben!
    Ich stoße einen Schreckensschrei aus. Meine Gefähr-
    ten erheben sich, sehen einen Körper und stürzen auf
    ihn zu. Ob noch ein Fünkchen Leben in ihm schlum-
    mere, danach fragt niemand . . .! Übrigens, Hobbart ist
    wirklich tot und sein Körper schon erkaltet.
    Im Nu wird der Strick zerschnitten. Der Hochboots-

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    — 276 —
    mann, Daoulas, Jynxtrop, Falsten, noch andere sind bei
    der Hand, fallen über den Leichnam her . . .
    Nein! Ich habe nichts gesehen! Ich habe nichts sehen
    wollen – ich nehme nicht teil an dieser entsetzlichen
    Mahlzeit! Weder Miss Herbey, noch André Letourneur
    oder sein Vater haben eine Erleichterung ihrer Leiden
    mit diesem Preis bezahlen wollen!
    Robert Kurtis? – Das weiß ich nicht . . . ich habe nicht
    gewagt, ihn danach zu fragen.
    Die anderen aber . . . oh, der Mensch verwandelt sich
    so leicht in ein Raubtier . . . es ist schrecklich!
    Die Herren Letourneur, Miss Herbey und ich, wir ha-
    ben uns unter das Zelt verkrochen, um nichts mit anse-
    hen zu müssen! Es war schon mehr als zuviel, was wir
    hörten!
    André Letourneur wollte sich auf die Kannibalen
    stürzen und ihnen die grauenvollen Überreste entrei-
    ßen, so daß ich Not hatte, ihn davon zurückzuhalten.
    Und übrigens, es war ja ihr Recht, das Recht der Un-
    glücklichen! Hobbart ist ja tot; sie haben ihn nicht er-
    mordet! Und wie eines Tages der Hochbootsmann
    sagte: »Es ist

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