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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Geheimnisse. Werden Sie an Leukämie oder an Aids sterben? Haben Sie in den letzten paar Stunden eine Zigarette geraucht oder ein Glas Wein getrunken? Nehmen Sie Prozac, weil Sie an Depressionen leiden, oder Viagra, weil Sie keinen mehr hochkriegen? Er hielt das innerste Wesen dieser Frauen in seinen Händen. Er konnte ihr Blut untersuchen, es berühren, daran riechen. Und sie hatten keine Ahnung. Sie wussten nicht, dass ein Teil ihres eigenen Körpers von einem Fremden befingert wurde.«
    »Die Opfer kannten ihn nicht«, sagte Moore. »Sie sind ihm nie begegnet.«
    »Aber der Chirurg kannte sie. Und zwar bis ins intimste Detail.« Zuckers Augen leuchteten wie im Fieber. »Der Chirurg jagt seine Opfer anders als jeder andere Serienmörder, der mir je untergekommen ist. Er ist einmalig. Er hält sich im Verborgenen, denn er ist in der Lage, seine Opfer blind auszuwählen.« Bewundernd ruhte sein Blick auf einem Gestell mit Blutproben auf der Arbeitsfläche. »Dieser Labor ist sein Jagdrevier. Auf diese Weise macht er sie ausfindig. Ihr Blut, ihr Leiden führt ihn auf ihre Spur.«
     
    Als Moore den Krankenhauskomplex verließ, war die Luft so kühl und frisch wie seit Wochen nicht mehr. In der großen Stadt Boston würden in dieser Nacht weniger Fenster offen bleiben, und weniger Frauen würden ungeschützt vor Überfällen in ihren Betten liegen.
    Aber heute Nacht wird der Chirurg nicht auf Beutezug gehen. Heute Nacht wird er sich mit seinem neuesten Fang vergnügen.
    Unvermittelt blieb Moore neben seinem Wagen stehen. Die schiere Verzweiflung lähmte seine Glieder. Jetzt, in diesem Augenblick, griff Warren Hoyt vielleicht nach dem Skalpell. In diesem Augenblick …
    Schritte näherten sich. Er nahm alle Kraft zusammen, um den Kopf zu heben und den Mann anzusehen, der in einigen Schritten Entfernung im Halbdunkel stand.
    »Er hat sie in seiner Gewalt, nicht wahr?«, sagte Peter Falco.
    Moore nickte.
    »O Gott. O mein Gott.« Falco blickte mit schmerzverzerrter Miene zum Nachthimmel auf. »Ich bin mit ihr zu ihrem Wagen gegangen. Sie war hier mit mir, und ich habe sie nach Hause fahren lassen. Ich habe sie allein fahren lassen …«
    »Wir setzen alle Hebel in Bewegung, um sie zu finden.« Es war die Standardphrase in solchen Fällen. Noch während er die Worte aussprach, erkannte Moore, wie hohl sie klangen. Es war das, was einem einfiel, wenn die Lage verzweifelt war, wenn man wusste, dass auch die größten Anstrengungen höchstwahrscheinlich im Sande verlaufen würden.
    »Was ist es denn, was Sie tun?«
    »Wir wissen, wer er ist.«
    »Aber Sie wissen nicht, wohin er sie verschleppt hat.«
    »Es wird eine gewisse Zeit dauern, bis wir ihn aufgespürt haben.«
    »Sagen Sie mir, was ich tun kann. Egal, was es ist.«
    Moore gab sich alle Mühe, seine Stimme ruhig zu halten, seine eigenen Ängste, seine Panik zu verbergen. »Ich weiß, wie schwer es ist, an den Rand des Geschehens verbannt zu sein und anderen die Arbeit zu überlassen. Aber schließlich sind wir für diese Arbeit ausgebildet.«
    »Ja, natürlich, Sie sind echte Profis! Und was ist dann bitte schief gelaufen?«
    Moore wusste keine Antwort.
    In seiner heftigen Erregung trat Falco auf Moore zu und blieb unter der Parkplatzbeleuchtung stehen. Das Licht fiel auf sein gramverzehrtes Gesicht. »Ich weiß nicht, was zwischen Ihnen und ihr gelaufen ist«, sagte er. »Aber ich weiß, dass sie Ihnen vertraut hat. Ich hoffe bei Gott, dass Ihnen das irgendetwas bedeutet. Ich hoffe, sie ist mehr für Sie als nur irgendein Fall. Irgendein Name auf einer Liste.«
    »Das ist sie«, antwortete Moore.
    Die beiden Männer starrten einander an. Schweigend gestanden sie sich ein, was sie beide wussten. Was sie beide fühlten.
    »Sie bedeutet mir mehr, als Sie je ahnen können«, sagte Moore.
    Und Falco erwiderte leise: »Mir auch.«

23
    »Er wird sie eine Zeit lang am Leben lassen«, sagte Dr. Zucker. »So wie er auch Nina Peyton einen ganzen Tag am Leben gelassen hat. Er hat die Situation jetzt vollkommen im Griff. Er hat alle Zeit der Welt.«
    Ein Schauder durchfuhr Rizzoli, als sie überlegte, was das eigentlich bedeutete: Alle Zeit der Welt. Sie dachte darüber nach, wie viele empfindliche Nervenendungen der menschliche Körper besaß, und sie fragte sich, wie viel Schmerz ein Körper wohl erdulden musste, bevor der Tod ein Einsehen hatte. Sie blickte zum Tisch hinüber und sah, wie Moore den Kopf in die Hände sinken ließ. Er sah krank aus, erschöpft. Es war schon

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