Die Chirurgin
mehrere Jahre Bestand gehabt. Unterlagen über Flugtickets und Kreditkartenabrechnungen belegen, dass sie häufig zusammen reisten. Nach Griechenland und Italien. Nach Mexiko, wo sie beide als Freiwillige in einem Dorfkrankenhaus arbeiteten. Es war eine Allianz zweier Jäger. Blutsbrüder, die die gleichen Gewaltfantasien teilten.«
»Die Katgutnaht«, sagte Rizzoli.
Zucker sah sie fragend an. »Was?«
»In Ländern der Dritten Welt wird Katgut immer noch als Nahtmaterial verwendet. So ist er an seinen Vorrat gekommen.«
Marquette nickte. »Sie könnte Recht haben.«
Ich habe Recht, dachte Rizzoli mit mühsam unterdrücktem Groll.
»Als Cordell Andrew Capra tötete«, sagte Zucker, »zerstörte sie damit ein perfektes Team von Mördern. Sie nahm Hoyt den Menschen, der ihm am nächsten gestanden hatte. Und deshalb wurde sie das Ziel seines ganzen Strebens. Sein ultimatives Opfer.«
»Wenn Hoyt in der Nacht, als Capra erschossen wurde, im Haus war, wieso hat er sie dann nicht getötet?«, fragte Marquette.
»Ich weiß es nicht. Vieles, was diese Nacht damals in Savannah betrifft, weiß nur Hoyt allein. Was wir wissen, ist, dass er vor zwei Jahren nach Boston gezogen ist, kurz nachdem Catherine Cordell hierher gekommen war. Dann dauerte es kein Jahr, bis Diana Sterling tot war.«
Endlich ergriff Moore das Wort. Seine Stimme klang gehetzt. »Wie können wir ihn finden?«
»Sie können seine Wohnung überwachen lassen, aber ich glaube kaum, dass er in der nächsten Zeit dorthin zurückkehren wird. Das ist nicht seine Mordhöhle. Das ist nicht der Ort, wo er seinen Fantasien frönt.« Zucker lehnte sich zurück; sein Blick war leer. Er versuchte alles, was er über Warren Hoyt wusste, in Worte und Bilder zu fassen. »Sein wirkliches Versteck dürfte ein Ort sein, den er strikt von seinem täglichen Leben isoliert hält. Ein Ort, an den er sich unerkannt zurückzieht, möglicherweise in einiger Entfernung von seiner Wohnung. Vielleicht hat er sich dort unter einem falschen Namen eingemietet.«
»Wenn man sich irgendwo einmietet, muss man auch Miete zahlen«, meinte Frost. »Wir folgen einfach der Spur des Geldes.«
Zucker nickte. »Sie werden wissen, dass Sie sein Versteck gefunden haben, wenn Sie es sehen. Denn seine Trophäen werden dort sein. Die Souvenirs, die er seinen Opfern abgenommen hat. Es ist sogar möglich, dass er dieses Versteck so eingerichtet hat, dass er seine Opfer dorthin verschleppen kann. Die perfekte Folterkammer. Es ist ein vollkommen abgeschiedener Ort, wo ihn niemand stören kann. Ein frei stehendes Gebäude. Oder eine Wohnung mit guter Schallisolierung.«
So kann niemand Cordells Schreie hören, dachte Rizzoli.
»An diesem Ort kann er sein wahres Wesen zeigen. Er kann sich entspannen, alle Hemmungen ablegen. Er hat nie an irgendeinem der Tatorte Sperma hinterlassen, was mir verrät, dass er in der Lage ist, die sexuelle Befriedigung aufzuschieben, bis er an einem sicheren Ort ist. Dieser sichere Ort ist sein Versteck. Vermutlich sucht er ihn von Zeit zu Zeit auf, um das erregende Gefühl der Bluttat wieder aufleben zu lassen. Um seinem Trieb auch zwischen den Morden Nahrung zu geben.« Zucker ließ den Blick in die Runde schweifen. »Dorthin hat er Catherine Cordell gebracht.«
Die Griechen nennen es dere, die Bezeichnung für die Vorderseite des Halses oder die Kehle, und es ist der schönste wie auch der verwundbarste Teil der weiblichen Anatomie. In der Kehle pulsiert das Leben, der Atem, und unter Iphigenies milchweißer Haut müssen bläuliche Adern gezittert haben, als ihr Vater seine Klinge auf sie herabsenkte. Als Iphigenie auf dem Altar ausgestreckt lag, hat Agamemnon da innegehalten, um die fein geschwungenen Linien des Halses seiner Tochter zu bewundern? Oder hat er nur auf die anatomischen Merkmale geachtet, um die Stelle zu bestimmen, an der die Klinge am wirkungsvollsten ihre Haut durchbohren würde! So qualvoll dieses Opfer für ihn auch war, empfand er nicht doch ein ganz leises Kribbeln in den Lenden, ein Aufblitzen sexueller Lust, als er das Messer in ihr Fleisch senkte?
Nicht einmal bei den alten Griechen mit ihren fürchterlichen Geschichten von Eltern, die ihren Nachwuchs verschlingen, und Söhnen, die sich mit ihren Müttern paaren, finden sich irgendwelche Erwähnungen derartiger moralischer Verworfenheit. Es war auch nicht nötig; es ist eine jener geheimen Wahrheiten, die wir alle auch ohne die Hilfe der Sprache verstehen. Wie viele von den Kriegern, die
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