Die Chirurgin
Kacheln sauber zu halten! Aber ganz gleich, wie viel sie schrubbte und putzte und wie gründlich sie ihr Leben in allen Einzelheiten durchorganisierte, gegen die Ivan Gwadowskis dieser Welt war sie dennoch nicht gefeit.
Sie nahm ihre Handtasche und die Autoschlüssel und verließ erneut die schützende Zuflucht ihrer Wohnung.
Im Aufzug blickte sie auf ihre Armbanduhr und sah mit Schrecken, dass es bereits Viertel vor sechs war. Sie würde nicht rechtzeitig im Krankenhaus ankommen, und, Mr. Gwadowski würde glauben, sie habe ihn versetzt.
Sobald sie in ihrem Mercedes saß, griff sie nach dem Autotelefon und rief erneut in der Telefonzentrale des Pilgrim am.
»Hier ist noch mal Dr. Cordell. Ich muss Mr. Gwadowski erreichen, um ihm zu sagen, dass ich später kommen werde. Wissen Sie zufällig, von welchem Apparat aus er angerufen hat?«
»Ich sehe mal im Protokoll nach …. Da haben wir’s. Der Anruf kam nicht aus dem Krankenhaus.«
»Also ein Handy?«
Es war einen Moment still. »Also, das ist ja merkwürdig.«
»Was, bitte?«
»Er hat von dem Anschluss aus angerufen, den Sie gerade benutzen.«
Catherine erstarrte. Die Angst jagte ihr wie ein kalter Windstoß den Rücken hoch. Mein Wagen. Der Anruf kam aus meinem Wagen.
»Dr. Cordell?«
Und jetzt sah sie ihn – wie eine Kobra tauchte er hinter ihr im Rückspiegel auf. Sie holte Luft, wollte schreien – doch da drang bereits der beißende Dunst des Chloroforms in ihre Kehle.
Der Hörer fiel ihr aus der Hand.
Jerry Sleeper wartete vor dem Ausgang des Flughafens mit dem Wagen auf ihn. Moore warf sein Handgepäck auf den Rücksitz, stieg ein und schlug die Tür mit einem lauten Knall zu.
»Habt ihr sie gefunden?«, war seine erste Frage.
»Noch nicht«, antwortete Sleeper, während er den Wagen startete und anfuhr. »Ihr Mercedes ist verschwunden, und ihre Wohnung weist keine Spuren eines gewaltsamen Eindringens auf. Was auch immer passiert ist, es ging jedenfalls sehr schnell, und es spielte sich entweder in ihrem Wagen oder in der Nähe ab. Der Letzte, der sie gesehen hat, ist Peter Falco; das war gegen siebzehn Uhr fünfzehn in der Parkgarage des Krankenhauses. Etwa eine halbe Stunde später hat die Telefonistin des Krankenhauses Cordell angepiepst und mit ihr telefoniert. Dann hat Cordell noch einmal von ihrem Wagen aus zurückgerufen. Dieses Gespräch wurde abrupt abgebrochen. Die Telefonistin behauptet, es sei Herman Gwadowskis Sohn gewesen, der sie ursprünglich habe anrufen lassen.«
»Bestätigung?«
»Ivan Gwadowski ist um zwölf Uhr mittags nach Kalifornien geflogen. Er war nicht der Anrufer.«
Sie mussten nicht aussprechen, wer tatsächlich hinter dem Anruf steckte. Sie wussten es beide. Moore starrte unruhig auf die lange Reihe von Rücklichtern, die in der Dunkelheit wie eine dichte Kette leuchtend roter Perlen schimmerten.
Sie ist seit sechs Uhr in seiner Gewalt. Was hat er in diesen vier Stunden mit ihr gemacht?
»Ich möchte mir Warren Hoyts Wohnung ansehen«, sagte Moore.
»Da fahren wir gerade hin. Wir wissen, dass seine Schicht im Interpath-Labor heute Morgen gegen sieben Uhr zu Ende war. Um zehn hat er seinen Vorgesetzten angerufen und gesagt, er könne wegen einer Familienangelegenheit mindestens eine Woche lang nicht zur Arbeit kommen. Seitdem hat ihn niemand mehr gesehen oder gesprochen. Weder in seiner Wohnung noch im Labor.«
»Und die Familienangelegenheit?«
»Er hat keine Familie. Seine einzige Tante ist im Februar gestorben.«
Die Reihe von Rücklichtern verschwamm zu einem roten Streifen. Moore blinzelte und wandte sich ab, damit Sleeper seine Tränen nicht sehen konnte.
Warren Hoyt wohnte im North End, einem pittoresken Viertel mit einem Labyrinth enger Sträßchen und roten Backsteinhäusern, – einem der ältesten Stadtteile von Boston. Die Gegend galt als relativ sicher, vor allem dank der wachsamen Augen der italienischen Anwohner, denen viele der Geschäfte gehörten. Hier, in einer Straße, durch die Touristen und Anwohner spazierten, ohne sich allzu sehr vor Verbrechern zu fürchten, hatte ein Monster gelebt.
Hoyts Wohnung war im zweiten Stock eines kleinen Backsteinhauses ohne Fahrstuhl. Schon vor Stunden hatte das Team der Kripo sie nach Spuren durchsucht, und als Moore nun eintrat und die kargen Möbel sah, die fast leeren Regale, da hatte er das Gefühl, in einem Zimmer zu stehen, das bereits seiner Seele beraubt war. Dass er nichts finden würde, was ihm verraten würde, wer – oder was –
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