Die Chirurgin
mich schier zum Wahnsinn, dass ich mein Stethoskop nicht finden kann.«
»Es ist noch immer nicht aufgetaucht?«
»Ich musste mir eins von der Oberschwester leihen.«
Er runzelte die Stirn und sah sich in dem Raum um. »Na, da ist es doch! Im Bücherregal.« Er ging auf das Regal zu, wo das Stethoskop zusammengerollt neben einer Buchstütze lag.
Schweigend nahm sie es entgegen. Starrte es an wie irgendein fremdartiges Wesen. Eine schwarze Schlange, die sich um ihre Hand wickelte.
»He, was hast du denn?«
Sie holte tief Luft. »Ich glaube, ich bin einfach nur müde.«
Sie steckte das Stethoskop in ihre linke Kitteltasche, wo sie es immer aufbewahrte.
»Bist du sicher, dass es weiter nichts ist? Ist sonst noch irgendwas nicht in Ordnung?«
»Ich muss nach Hause.« Sie verließ ihr Büro, und er folgte ihr auf den Flur hinaus.
»Hat es irgendetwas mit diesen Polizisten zu tun? Hör zu, wenn du in irgendwelchen Schwierigkeiten bist – wenn ich dir da raushelfen kann…«
»Ich brauche keine Hilfe, vielen Dank.« Ihre Antwort klang abweisender, als sie es beabsichtigt hatte, und es tat ihr augenblicklich Leid. Das hatte Peter nicht verdient.
»Weißt du, wenn es nach mir ginge, könntest du mich viel öfter um einen Gefallen bitten«, sagte er leise. »Das gehört doch dazu, wenn man zusammenarbeitet. Als Partner. Findest du nicht?«
Sie gab keine Antwort.
Er machte Anstalten, in sein Büro zurückzugehen. »Wir sehen uns dann morgen früh.«
»Peter?«
»Ja?«
»Was diese Polizisten betrifft – und den Grund, weshalb sie mich sprechen wollten…«
»Du musst es mir nicht sagen.«
»Nein, das sollte ich aber. Du wirst dir alles Mögliche denken, wenn ich es dir nicht sage. Sie waren hier, um mich wegen eines Mordfalls zu befragen. Eine Frau ist Donnerstagnacht ermordet worden. Sie dachten, ich hätte sie vielleicht gekannt.«
»Und hast du sie gekannt?«
»Nein. Es war ein Irrtum, weiter nichts.« Sie seufzte. »Bloß ein Irrtum.«
Catherine drehte den Türknopf um, spürte, wie der Riegel mit einem satten Klacken einrastete, und legte dann die Kette vor. Ein weiterer Schutzwall gegen die namenlosen Schrecken, die hinter ihren Wänden lauerten. Derart sicher in ihrer Wohnung verbarrikadiert, zog sie ihre Schuhe aus, legte Handtasche und Schlüssel auf dem Kirschholz-Sideboard ab und ging auf Strümpfen über den tiefen weißen Teppich in ihrem Wohnzimmer. Es war angenehm kühl in der Wohnung, dank der wundersamen Erfindung der zentralen Klimaanlage. Draußen war es dreißig Grad warm, aber hier drinnen stieg die Temperatur im Sommer nie über zweiundzwanzig Grad, und im Winter sank sie nie unter zwanzig. Es gab so wenige Dinge im Leben, die sich voreinstellen oder vorbestimmen ließen, und sie war bemüht, innerhalb der Grenzen ihres Alltags ein größtmögliches Maß an Ordnung zu bewahren. Sie hatte dieses aus zwölf Eigentumswohnungen bestehende Haus in der Commonwealth Avenue gewählt, weil es nagelneu war und eine bewachte Tiefgarage hatte. Es war zwar nicht so pittoresk wie die historischen roten Backsteinhäuser in einem Viertel wie der Back Bay, aber dafür musste man auch nicht wie in einem Altbau mit der Ungewissheit leben, wie lange es die Rohre oder die Stromleitungen noch tun würden. Ungewissheit war etwas, was Catherine nicht gut ertragen konnte. Ihre Wohnung hielt sie makellos in Schuss, und abgesehen von einigen wenigen auffallenden Farbtupfern hatte sie als dominierende Farbe Weiß gewählt. Eine weiße Couch, weiße Teppiche, weiße Fliesen. Die Farbe der Reinheit. Unberührt, jungfräulich.
In ihrem Schlafzimmer zog sie sich aus, hängte ihren Rock auf und legte die Bluse beiseite, um sie am nächsten Tag in der Reinigung abzugeben. Sie zog eine bequeme Hose und eine ärmellose Seidenbluse an, und als sie anschließend barfuß in die Küche ging, war sie schon ruhiger und hatte das Gefühl, wieder alles im Griff zu haben.
Noch vor einigen Stunden war das ganz anders gewesen. Der Besuch der beiden Polizeibeamten hatte sie sehr mitgenommen, und den ganzen Nachmittag über hatte sie sich immer wieder dabei ertappt, wie sie kleine Fehler gemacht hatte. Den falschen Laborzettel gegriffen, ein falsches Datum in ein Krankenblatt eingetragen. Nur unbedeutende Fehlleistungen, doch sie waren wie kleine Wellen, die die Oberfläche eines aufgewühlten Gewässers kräuseln. Die letzten zwei Jahre über war es ihr gelungen, alle Gedanken an das, was ihr in Savannah zugestoßen war, zu
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