Die Chirurgin
Baby auf dem Schoß an den Tisch und starrte in die Schatulle. Sie nahm die Stücke eins nach dem anderen heraus und breitete sie auf dem Tisch aus. Es war eine armselige Kollektion von billigem Modeschmuck. Strass, unechte Perlen und bunte Steine. Elenas Geschmack hatte in Richtung laut und knallig tendiert.
Anna legte das letzte Stück auf den Tisch, einen Freundschaftsring mit einem Türkis. Dann saß sie eine Zeit lang da, während sich ihre Stirn mehr und mehr in Falten legte.
»Der Armreif«, sagte sie.
»Welcher Armreif?«
»Da sollte ein Armreif dabei sein, so einer mit kleinen Glücksbringern dran. Pferde waren das. In der Highschool hat sie ihn jeden Tag getragen. Elena war verrückt nach Pferden …« Anna sah mit ungläubiger Miene auf. »Er war überhaupt nichts wert! Aus Blech war er. Weshalb sollte er den genommen haben?«
Rizzolis Blick fiel auf den Plastikbeutel mit der Halskette – einer Halskette, von der sie nun sicher war, dass sie Diana Sterling gehört hatte. Und sie dachte: Ich weiß genau, wo wir Elenas Armreif finden werden: am Handgelenk des nächsten Opfers.
Rizzoli stand auf der Veranda vor Moores Haus und schwenkte triumphierend den Plastikbeutel mit der Halskette.
»Sie gehörte Diana Sterling. Ich habe eben mit ihren Eltern gesprochen. Bevor ich anrief, hatten sie noch gar nicht bemerkt, dass die Kette fehlte.«
Er nahm die Tüte, öffnete sie jedoch nicht. Er hielt sie nur in der Hand und starrte das goldene Kettchen an.
»Das ist die eine konkrete Verbindung zwischen den beiden Fällen«, sagte sie. »Er nimmt sich von einem Opfer ein Souvenir und lässt es beim nächsten zurück.«
»Ich kann nicht glauben, dass wir dieses Detail übersehen haben.«
»Moment mal, wir haben es nicht übersehen.«
»Sie meinen, Sie haben es nicht übersehen.« Er warf ihr einen Blick zu, der sie auf einen Schlag drei Meter wachsen ließ. Moore war nicht der Typ, der einem auf die Schulter klopfte oder einen lauthals lobte. Eigentlich konnte sie sich überhaupt nicht erinnern, dass er je die Stimme erhoben hätte, sei es vor Zorn oder vor Begeisterung. Aber als er ihr diesen Blick zuwarf, mit der anerkennend gehobenen Augenbraue und den zu einem angedeuteten Lächeln verzogenen Mundwinkeln, war ihr jede andere Form der Anerkennung egal.
Sie lief vor lauter Begeisterung rot an und bückte sich nach der Tüte vom Straßenverkauf, die sie mitgebracht hatte. »Wie wär’s mit einem Happen zu essen? Ich habe unterwegs bei diesem Chinesen Halt gemacht.«
»Das war aber nicht nötig.«
»Doch, war es. Ich denke, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«
»Wofür?«
»Für heute Nachmittag. Diese dumme Geschichte mit dem Tampon. Sie haben sich doch bloß für mich eingesetzt und versucht, ein anständiger Kerl zu sein. Und ich habe es in den falschen Hals gekriegt.«
Es entstand eine peinliche Pause. Sie standen da und wussten nicht, was sie sagen sollten; zwei Menschen, die einander noch nicht sehr gut kennen und bemüht sind, über den turbulenten Auftakt ihrer Bekanntschaft hinwegzukommen.
Dann lächelte er, und dieses Lächeln verwandelte sein sonst so ernsthaftes Gesicht in das eines viel jüngeren Mannes. »Ich habe einen Bärenhunger«, sagte er. »Los, her mit dem Futter.«
Sie lachte und trat in sein Haus ein. Sie war zum ersten Mal hier, und so blieb sie kurz stehen, um sich umzuschauen und all die Details zu registrieren, in denen sich die Hand einer Frau zu verraten schien. Die Chintzvorhänge, die Aquarelle von Blumensträußen an den Wänden. Das hatte sie nicht erwartet. Du liebe Zeit, das war ja femininer als ihre eigene Wohnung.
»Gehen wir in die Küche«, sagte er. »Da sind meine Unterlagen.«
Er führte sie durch das Wohnzimmer, wo sie das Klavier erblickte.
»Wow. Spielen Sie?«, fragte sie.
»Nein, das gehört Mary. Ich bin absolut unmusikalisch.«
Das gehört Mary. Gegenwart. Plötzlich begriff sie, weshalb dieses Haus so feminin wirkte: Mary war hier immer noch gegenwärtig; alles in diesem Haus war noch unverändert und wartete nur auf die Rückkehr der Hausherrin. Ein Foto von Moores Frau stand auf dem Piano, es zeigte eine sonnengebräunte Frau mit lachenden Augen und vom Wind zerzausten Haaren. Mary, deren Chintzvorhänge noch immer in dem Haus hingen, in das sie nie zurückkehren würde.
In der Küche stellte Rizzoli die Essenstüte auf den Tisch, neben einen Stapel Papiere. Moore durchwühlte die Unterlagen, bis er die Mappe gefunden hatte, die er
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