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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Folgejungen klar wurden. »Sie glauben doch nicht ernsthaft …«
    »Es ist reine Routine. Wir überprüfen sämtliche Personen, mit denen das Opfer vor seinem Tod Kontakt hatte.«
    Aber es war keine Routinefrage, und sie wusste es.
    »Andrew Capra war Arzt«, sagte sie leise. »Sie glauben doch nicht etwa, dass ein anderer Arzt …«
    »Wir ziehen die Möglichkeit in Betracht.«
    Sie wandte sich ab. Holte zitternd Luft. »Damals in Savannah, als diese anderen Frauen ermordet wurden, bin ich einfach davon ausgegangen, dass ich den Mörder nicht kannte. Ich nahm an, wenn ich ihm je begegnen sollte, würde ich es schon wissen. Ich würde es fühlen. Andrew Capra hat mir gezeigt, wie sehr ich mich geirrt habe.«
    »Die Banalität des Bösen.«
    »Genau das ist es, was ich gelernt habe. Dass das Böse so gewöhnlich daherkommen kann. Dass ein Mann, den ich jeden Tag sah und grüßte, mich anlächeln …«, ihre Stimme wurde noch leiser, »… und dabei die ganze Zeit darüber nachdenken konnte, auf welche Art und Weise er mich am liebsten umbringen würde.«
     
    Es war schon dunkel, als Moore zu seinem Wagen zurückging, doch der Asphalt strahlte noch die Hitze des Tages aus.
    Es würde wieder eine unangenehme Nacht werden. Überall in der Stadt würden Frauen bei offenem Fenster schlafen, um jede noch so schwache Brise hereinzulassen. Und die Schrecken der Nacht.
    Er blieb stehen und blickte zum Krankenhaus zurück. Er konnte das knallrote Schild der Notaufnahme sehen, das wie ein Leuchtfeuer strahlte. Ein Symbol der Hoffnung und der Heilung.
    Ist das dein Jagdrevier? Ausgerechnet der Ort, an den Frauen sich begeben, um geheilt zu werden?
    Ein Rettungswagen kam mit Blaulicht aus der Dunkelheit hervorgeschossen. Er dachte an all die Menschen, die im Laufe eines Tages eine Notaufnahmestation betraten. Rettungssanitäter, Ärzte, Pfleger, Hausmeister.
    Und Polizisten. Es war eine Möglichkeit, die er äußerst ungern in Betracht zog, aber ebenso wenig verwerfen konnte. Der Beruf des Gesetzeshüters übt eine seltsame Anziehungskraft auf diejenigen aus, die auf andere Menschen Jagd machen. Die Waffe, die Dienstmarke – das sind berauschende Symbole der Herrschaft über andere. Und wie konnte man mehr Kontrolle über andere ausüben als durch die Macht, zu quälen und zu töten? Für einen solchen Jäger ist die Welt eine ausgedehnte Ebene, auf der es von Beutetieren nur so wimmelt.
    Er muss nichts weiter tun als seine Wahl treffen.
     
    Es wimmelte von Babys. Rizzoli stand in einer Küche, in der es nach saurer Milch und Talkumpuder roch, während sie wartete, bis Anna Garcia den Apfelsaft vom Boden aufgewischt hatte. Ein Kind, das gerade laufen konnte, hing an Annas Bein; ein anderes zog Topfdeckel aus einem Küchenschrank und schlug sie wie Becken zusammen. Ein drittes saß in einem Hochstuhl und lächelte hinter einer Maske aus püriertem Spinat. Und ein Säugling mit schlimmem Milchschorf auf dem Kopf krabbelte auf dem Boden umher und suchte unermüdlich nach gefährlichen Gegenständen, die er in seinen gierigen kleinen Mund stecken konnte. Rizzoli machte sich nichts aus Babys, und inmitten dieser Kinderschar wurde sie allmählich nervös. Sie kam sich vor wie Indiana Jones in der Schlangengrube.
    »Das sind nicht alles meine«, beeilte sich Anna zu erklären, während sie zum Spülbecken humpelte. Das Kleine hing immer noch an ihr wie ein Fußeisen. Sie wrang den schmutzigen Schwamm aus und ließ Wasser über ihre Hände laufen. »Nur der hier ist von mir.« Sie zeigte auf das Baby an ihrem Bein. »Das mit den Töpfen und das im Hochstuhl, die zwei sind von meiner Schwester Lupe. Und der auf dem Boden rumkrabbelt, auf den passe ich für meine Cousine auf. Ich hab mir gedacht, wenn ich sowieso mit meinem Kleinen zu Hause hocke, kann ich ruhig auch noch ein paar andere hüten.«
    Genau, dachte Rizzoli, ein Tritt in den Hintern mehr oder weniger, was macht das schon? Aber das Komische war, dass Anna gar nicht unglücklich wirkte. Im Gegenteil, sie schien die Fußfessel aus Fleisch und Blut und das Scheppern der Topfdeckel auf dem Fußboden kaum zu bemerken. Anna hatte die heitere Ausstrahlung einer Frau, die genau dort ist, wo sie sein will. Rizzoli fragte sich, ob Elena Ortiz eines Tages auch so geworden wäre, wenn sie länger gelebt hätte. Eine Mama, die den ganzen Tag in der Küche werkelte und seelenruhig Saft und Sabber aufwischte. Anna sah den Fotos ihrer jüngeren Schwester außerordentlich ähnlich, nur dass

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