Die Chirurgin
suchte.
»Das Protokoll von Elena Ortiz’ Behandlung in der Notaufnahme«, sagte er und reichte ihr das Dokument.
»Hat Cordell das aufgetrieben?«
Er lächelte ironisch. »Ich scheine von Frauen umringt zu sein, die kompetenter sind als ich.«
Sie schlug die Mappe auf und sah eine Kopie mit dem unleserlichen Gekrakel eines Arztes. »Haben Sie auch eine Übersetzung von diesem Geschmiere?«
»Ich habe es Ihnen mehr oder weniger schon am Telefon erklärt. Eine nicht angezeigte Vergewaltigung. Kein Abstrich, keine DNS. Nicht einmal Elenas Familie wusste davon.«
Sie klappte die Mappe zu und legte sie zu seinen anderen Papieren. »Mensch, Moore. Hier sieht’s ja aus wie auf meinem Esstisch. Kein Platz mehr fürs Essen.«
»Bei Ihnen bestimmt die Arbeit wohl auch schon das ganze Leben, was?«, meinte er, während er die Unterlagen beiseite räumte, um Platz für ihre Mahlzeit zu schaffen.
»Welches Leben? Meines besteht doch nur noch aus diesem Fall. Schlafen, essen, arbeiten. Und wenn ich Glück habe, vor dem Zubettgehen noch eine Stunde mit meinem alten Kumpel David Letterman.«
»Keine Männer?«
»Männer?« Sie schnaubte verächtlich, während sie die Kartons aus der Tüte nahm und den Tisch mit Servietten und Essstäbchen deckte. »O ja, ganz bestimmt. Ich kann mir sie ja gar nicht alle vom Leib halten.« Erst als sie es gesagt hatte, wurde ihr bewusst, wie sehr das nach Selbstmitleid klang – ganz anders, als sie es gemeint hatte. Rasch fügte sie hinzu: »Ich beschwere mich ja nicht. Wenn ich am Wochenende arbeiten muss, kann ich das in aller Ruhe tun, ohne dass mir irgendein Typ die Ohren voll jammert. Mit Jammerlappen kann ich nichts anfangen.«
»Kein Wunder, Sie sind ja selbst das Gegenteil von einem Jammerlappen. Das haben Sie mir heute schließlich schmerzlich klar gemacht.«
»Ja, ja. Ich dachte, dafür hätte ich mich schon entschuldigt.«
Er holte zwei Dosen Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich ihr gegenüber. So hatte sie ihn noch nie gesehen, in Hemdsärmeln und so locker und entspannt. So gefiel er ihr. Nicht der einschüchternde heilige Thomas, sondern ein Typ, mit dem sie ein Schwätzchen halten konnte, ein Typ, der mit ihr lachte. Ein Typ, der, wenn er sich bloß die Mühe machte, seinen Charme spielen zu lassen, ein Mädel regelrecht von den Socken hauen konnte.
»Wissen Sie, Sie müssen nicht unbedingt immer tougher sein als alle anderen«, sagte er.
»Doch, das muss ich.«
»Wieso?«
»Weil die nicht glauben, dass ich es bin.«
»Wer denn?«
»Typen wie Crowe. Lieutenant Marquette.«
Er zuckte mit den Achseln. »Ein paar von der Sorte wird es immer geben.«
»Wie kommt es nur, dass ich immer mit denen zusammenarbeiten muss?« Sie riss ihre Bierdose auf und nahm einen kräftigen Schluck. »Das ist der Grund, weshalb ich zuerst Ihnen von der Halskette erzählt habe. Sie werden es nicht als Ihr Verdienst ausgeben.«
»Es wäre schon traurig, wenn es nur noch darum ginge, wer dies oder jenes als sein Verdienst ausgibt.«
Sie nahm ihre Essstäbchen und machte sich über den Karton mit Hühnerfleisch Kung Pao her. Es war so scharf, dass es einem fast die Zunge verbrannte – genau wie sie es mochte. Rizzoli war auch kein Waschlappen, wenn es um scharfe Peperoni ging.
Sie sagte: »Bei meinem ersten wirklich großen Fall im Rauschgift- und Sittendezernat war ich die einzige Frau in einem Team mit fünf Männern. Als wir den Fall geknackt hatten, gab es eine Pressekonferenz. Reporter, Fernsehkameras, alles, was dazugehört. Und wissen Sie was? Sie haben jeden einzelnen Namen im Team erwähnt, nur meinen nicht. Jeden anderen verdammten Namen.« Sie nahm noch einen Schluck Bier. »Ich werde dafür sorgen, dass so etwas nicht noch mal passiert. Ihr Kerle, ihr könnt euch ganz auf den Fall und die Beweissicherung konzentrieren. Aber ich muss schon einen Haufen Energie verschwenden, bis man mir überhaupt erst mal zuhört.«
»Ich höre Ihnen zu, Rizzoli.«
»Das ist eine erfreuliche Abwechslung.«
»Was ist mit Frost? Haben Sie mit ihm auch Probleme?«
»Frost ist cool.« Sie verzog das Gesicht, als ihr das unbeabsichtigte Wortspiel auffiel. »Seine Frau hat ihn gut abgerichtet.«
Darüber mussten sie beide lachen. Jeder, der einmal gehört hatte, wie Barry Frost mit seiner Frau telefonierte und immer nur lammfromm »ja, Schatz« und »nein, Schatz« sagen durfte, wusste genau, wer bei Frosts im Haus die Hosen anhatte.
»Deshalb wird er es auch nicht sehr weit bringen«,
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