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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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selbst eingedrungen war. Das Verkehrteste, was sie tun könnte, wäre die Stange herauszuziehen. Dadurch würde sie möglicherweise ein Loch aufreißen, durch das der Patient innerhalb weniger Minuten verbluten würde.
    Die Sanitäter vor Ort hatten die richtige Entscheidung getroffen. Sie hatten einen Zugang gelegt, das Opfer intubiert und es mitsamt der Eisenstange in die Notaufnahme gebracht. Für den Rest war sie verantwortlich.
    Sie griff soeben nach dem Skalpell, als die Tür aufgestoßen wurde. Catherine hob den Kopf und atmete erleichtert auf, als sie Peter Falco eintreten sah. Er blieb stehen und fixierte die Brust des Patienten, aus der die Stange herausragte wie der Pflock aus dem Herzen eines Vampirs.
    »Na, so was kriegt man ja nicht alle Tage zu sehen«, sagte er.
    »Blutdruck ist im Keller!«, rief eine Schwester.
    »Für einen Bypass bleibt keine Zeit. Ich werde ihn aufmachen«, sagte Catherine.
    »Ich bin gleich bei dir.« Peter drehte sich um und sagte in fast beiläufigem Ton: »Kann ich bitte einen Kittel haben?«
    Catherine öffnete behände den Brustkorb mit einem anterolateralen Schnitt, durch den ein optimaler Zugriff auf die Brustorgane ermöglicht wurde. Nach Peters Eintreffen hatte sie sich gleich ein wenig beruhigt. Es war mehr als nur das Wissen, ein zusätzliches Paar geschickter Hände zur Verfügung zu haben. Es war Peter selbst. Die Art, wie er einen Raum betrat und mit einem Blick die Situation erfasste. Die Tatsache, dass er im OP nie die Stimme erhob, nie den leisesten Anflug von Panik zeigte. Er kämpfte schon fünf Jahre länger als sie an der unfallchirurgischen Front, und gerade bei so grauenhaften Fällen wie diesem kam seine Erfahrung zum Tragen.
    Jetzt nahm er seinen Platz gegenüber von Catherine ein und richtete seine blauen Augen auf den Einschnitt. »Na, dann wollen wir mal.«
    Er stürzte sich sofort in die Arbeit, und sogleich schien es, als operierte ein einziger Mensch mit vier Händen. Mit vereinten Kräften machten sie sich über den Brustkorb her. Sie hatten schon so oft im Team operiert, dass jeder automatisch wusste, was der andere brauchte, und dessen Schritte immer schon vorausahnte.
    »Vorgeschichte?«, fragte Peter. Blut spritzte hervor, doch er blieb ruhig und klemmte das blutende Gefäß flugs ab.
    »Bauarbeiter; ist auf der Baustelle gestolpert und hat sich dabei aufgespießt.«
    »So was kann einem schon den Tag verderben. Wundspreizer bitte.«
    »Wundspreizer.«
    »Wie sieht’s mit dem Blut aus?«
    »Wir warten auf das Null-Negativ«, antwortete eine Schwester.
    »Ist Dr. Murata im Haus?«
    »Sein Bypass-Team ist schon unterwegs.«
    »Wir müssen also nur noch ein bisschen Zeit schinden. Was macht der Rhythmus?«
    »Sinustachykardie, hundertfünfzig. Ein paar Extrasystolen …«
    »Systolischer Druck auf fünfzig gesunken!«
    Catherine warf Peter einen viel sagenden Blick zu. »Wir werden ihn nicht bis zum Bypass halten können«, sagte sie.
    »Dann müssen wir eben sehen, was wir hier tun können.«
    Es war plötzlich ganz still, während er in die Wundöffnung starrte.
    »O Gott«, sagte Catherine. »Sie steckt im Vorhof.«
    Die Spitze der Stange hatte die Herzwand durchstoßen, und mit jedem Herzschlag quoll frisches Blut aus den Rändern des Einstichs hervor. In der Brusthöhle hatte sich schon ein tiefer See angesammelt.
    »Wenn wir die rausziehen, gibt’s einen richtig schönen Springbrunnen«, meinte Peter.
    »Er blutet jetzt schon um die Stange herum aus.«
    Die Schwester meldete: »Systolischer kaum noch tastbar!«
    »Na denn«, meinte Peter. Keinerlei Panik in seiner Stimme. Keine Spur von Angst. Er wandte sich an eine der Schwestern: »Können Sie irgendwo einen 16-Charr-Foley-Katheter mit 30-Kubik-Ballon auftreiben?«
    »Ähm, Dr. Falco – sagten Sie eben Foley -Katheter?«
    »Ja. Einen Urinkatheter.«
    »Und wir werden eine Spritze mit zehn Kubik Kochsalzlösung brauchen«, sagte Catherine. »Halten Sie sich bereit, um sie zu injizieren.« Sie und Peter mussten keine Erklärungen austauschen; beide wussten genau, was der Plan war.
    Die Schwester drückte Peter den Foley-Katheter in die Hand – einen Schlauch, der dazu diente, durch Einführen in die Blase Urin abzulassen. Sie würden ihn zu einem Zweck benutzen, für den er nie gedacht gewesen war.
    Er sah Catherine an. »Bist du bereit?«
    »Auf geht’s.«
    Ihr Puls jagte, als sie sah, wie Peter die Eisenstange packte. Sah, wie er sie vorsichtig aus der Herzwand zog. Kaum war die

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