Die Chirurgin
einen Ersatz-Schlüsselbund in meinem Schreibtisch auf.«
»Welche Schlüssel sind da dran?«
»Ein Zweitschlüssel für meinen Wagen. Und einer für meinen Spind im Krankenhaus …« Sie brach ab, ihre Kehle fühlte sich plötzlich wie ausgetrocknet an. »Wenn er tagsüber an meinem Spind war, dann konnte er auch an meine Handtasche heran.« Sie sah zu Moore auf. »An meine Hausschlüssel.«
Die Spurensicherung suchte bereits nach Fingerabdrücken, als Moore in die Büroräume der Unfallchirurgie zurückkehrte.
»Und, haben Sie sie ins Bett gebracht?«, fragte Rizzoli.
»Sie wird im Bereitschaftsraum der Notaufnahme schlafen. Ich möchte nicht, dass sie nach Hause geht, solange dort nicht alles sicher ist.«
»Werden Sie persönlich alle ihre Schlösser austauschen?«
Er runzelte die Stirn und versuchte ihren Gesichtsausdruck zu deuten. Was er sah, gefiel ihm nicht. »Haben Sie irgendein Problem?«
»Sie ist eine attraktive Frau.«
Ich weiß, worauf das hinausläuft, dachte er und seufzte resigniert.
»Ein bisschen angeschlagen. Ein bisschen verletzlich«, sagte Rizzoli. »Mensch, da möchte man als Mann doch gleich alles stehen und liegen lassen, um sie zu beschützen.«
»Ist das nicht unser Job?«
»Ist es wirklich nur ein Job?«
»Auf dieses Gespräch lasse ich mich nicht ein«, sagte er und verließ das Büro.
Rizzoli folgte ihm auf den Flur wie eine Bulldogge, die nach seinen Waden schnappte. »Sie steht im Mittelpunkt dieser Ermittlungen, Moore. Wir wissen nicht, ob sie uns gegenüber ehrlich ist. Bitte erzählen Sie mir nicht, dass Sie eine Affäre mit ihr anfangen.«
»Ich habe keine Affäre.«
»Ich bin doch nicht blind.«
»Und was sehen Sie genau?«
»Ich sehe die Art, wie Sie die Frau anschauen. Ich sehe, wie die Frau Sie anschaut. Ich sehe einen Polizisten, der seine Objektivität verliert.« Sie machte eine Pause. »Einen Polizisten, der sich die Finger verbrennen wird.«
Hätte sie die Stimme erhoben, hätte sie es in feindseligem Ton gesagt, dann hätte er es ihr vielleicht mit gleicher Münze heimgezahlt. Aber sie hatte diese letzten Worte leise gesprochen, und er konnte einfach nicht genügend Entrüstung aufbringen, um sich mit ihr zu streiten.
»Ich würde so etwas nicht zu jedem sagen«, meinte Rizzoli. »Aber ich glaube, dass Sie einer von den anständigen Kerlen sind. Wären Sie Crowe oder irgendein anderes Arschloch, dann würde ich sagen, nur zu, lass dir doch das Herz aus dem Leib reißen, ich pfeife drauf. Aber ich will nicht, dass Ihnen so etwas passiert.«
Sie sahen einander einen Moment lang in die Augen. Und Moore kam zu der beschämenden Einsicht, dass es ihm nicht gelang, über ihr unscheinbares Äußeres hinwegzusehen. Ganz gleich, wie sehr er ihren wachen Verstand bewunderte, ihren unermüdlichen Erfolgswillen, worauf er in Wirklichkeit achten würde, wäre am Ende doch immer nur ihr ganz und gar durchschnittliches Gesicht und ihre unförmigen Hosenanzüge. In gewisser Weise war er keinen Deut besser als Darren Crowe und all die anderen Kotzbrocken, die ihr Tampons in die Wasserflasche steckten. Er verdiente ihre Bewunderung nicht.
Sie hörten, wie sich hinter ihnen jemand räusperte, und drehten sich um. Der Beamte von der Spurensicherung stand in der Tür.
»Keine Abdrücke«, sagte er. »Ich habe beide Computer eingestäubt. Die Tastaturen, die Mäuse, die Diskettenlaufwerke. Alles ist sauber abgewischt worden.«
Rizzolis Handy klingelte. Während sie es aufklappte, murmelte sie: »Was haben wir denn erwartet? Schließlich haben wir es nicht mit einem Volltrottel zu tun.«
»Was ist mit den Türen?«
»Da gibt’s ein paar Teilabdrücke. Aber bei all dem Kommen und Gehen hier – Patienten, Personal – wird uns kaum eine Identifizierung gelingen.«
»He, Moore«, sagte Rizzoli und klappte ihr Handy wieder zusammen. »Auf geht’s.«
»Wohin?«
»Ins Präsidium. Brody sagt, er will uns in die Wunderwelt der Pixel einführen.«
»Ich hab die Bilddatei in das Bildbearbeitungsprogramm importiert«, sagte Sean Brody. »Die Datei umfasst drei Megabytes, was bedeutet, dass die Darstellung sehr detailreich ist. Dieser Täter gibt sich nicht mit verschwommenen Bildern ab. Er hat eine Top-Aufnahme geschickt, auf der man jede einzelne Wimper des Opfers erkennen kann.«
Brody war das Technikgenie des Boston Police Department, ein bleichgesichtiger Jüngling von dreiundzwanzig Jahren, der jetzt in lässiger Haltung vor dem Computer hockte. Die Maus
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