Die Chirurgin
Make-up aufzulegen. Kriegsbemalung, dachte sie, während sie Mascara auftrug und sich die Lippen schminkte. Eine Maske, die ihr den Mut verlieh, sich der Welt zu stellen. Mit jedem Pinselstrich wuchs ihr Selbstvertrauen. Aus dem Spiegel blickte ihr eine Frau entgegen, die sie kaum wieder erkannte. Eine Frau, die sie seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte.
»Schön, dich mal wieder zu sehen«, murmelte sie und lächelte.
Sie schaltete das Badezimmerlicht aus und ging ins Wohnzimmer. Ihre Füße mussten sich erst wieder an die Tortur von hochhackigen Schuhen gewöhnen. Peter war spät dran, es war bereits Viertel nach acht. Jetzt fiel ihr die Computernachricht wieder ein, die sie vom Schlafzimmer aus gehört hatte, und sie ging zu ihrem PC, um das Briefkasten-Symbol anzuklicken.
Sie hatte eine Nachricht – von einem Absender namens SavvyDoc. Die Betreffzeile lautete »Laborbericht«. Sie öffnete die E-Mail.
Dr. Cordell, im Anhang finden Sie Pathologie-Aufnahmen, die Sie interessieren dürften.
Die Unterschrift fehlte.
Sie fuhr mit dem Mauszeiger auf das Download -Symbol und hielt dann mit dem Zeigefinger über der Maustaste inne. Der Absender, SavvyDoc, sagte ihr nichts, und normalerweise hätte sie kein Dokument von einem Unbekannten heruntergeladen. Aber diese Nachricht hatte eindeutig mit ihrer Arbeit zu tun, und außerdem war sie namentlich an sie adressiert.
Sie klickte auf Download.
Ein Farbfoto baute sich auf dem Monitor auf.
Mit einem erstickten Schrei sprang sie von ihrem Stuhl auf, als sei sie verbrüht worden. Der Stuhl kippte polternd um, und sie taumelte rückwärts, die Hand auf den Mund gedrückt.
Dann stürzte sie zum Telefon.
Thomas Moore stand vor ihrer Tür und blickte ihr eindringlich in die Augen. »Ist das Foto noch auf dem Bildschirm?«
»Ich habe nichts angerührt.«
Sie trat zur Seite, um ihn hereinzulassen. Er wirkte ganz geschäftsmäßig – immer im Dienst. Sofort fiel sein Blick auf den Mann, der neben dem Computer stand.
»Das ist Dr. Peter Falco«, sagte Catherine. »Mein Partner in der Unfallchirurgie.«
»Dr. Falco«, sagte Moore, als die beiden Männer sich die Hand gaben.
»Catherine und ich wollten heute Abend zusammen essen gehen«, erklärte Peter. »Ich bin im Krankenhaus noch aufgehalten worden und erst kurz vor Ihnen hier eingetroffen. Und dann …« Er hielt inne und sah Catherine an. »Das Essen fällt jetzt wohl aus, oder?«
Sie antwortete mit einem matten Nicken.
Moore setzte sich an den Computer. Der Bildschirmschoner hatte sich eingeschaltet, und über den Monitor zogen jetzt bunte tropische Fische hinweg. Er gab der Maus einen Stups.
Das Foto erschien wieder.
Sofort wandte Catherine sich ab und ging zum Fenster. Dort blieb sie stehen, die Arme um den Leib geschlungen, und suchte das Bild zu verdrängen, das sie soeben auf dem Monitor gesehen hatte. Sie konnte hören, wie Moore hinter ihrem Rücken auf die Tasten tippte, wie er anschließend eine Nummer wählte und ins Telefon sagte: »Ich habe die Datei gerade abgeschickt. Ist sie angekommen?« In der Dunkelheit unter ihrem Fenster war es sonderbar still geworden.
Ist es etwa schon so spät?, fragte sie sich. Sie blickte auf die menschenleere Straße hinunter und konnte gar nicht glauben, dass sie noch vor einer Stunde bereit gewesen war, in die Nacht hinauszugehen und wieder in die normale Welt einzutauchen.
Jetzt wollte sie nur noch alle Türen verriegeln und sich verkriechen.
»Wer käme denn auf die Idee, dir so was zu schicken?«, fragte Peter. »Das ist doch krank.«
»Darüber möchte ich lieber nicht sprechen«, sagte sie.
»Hast du schon mal was in der Art bekommen?«
»Nein.«
»Und warum hast du dann die Polizei eingeschaltet?«
» Lass das, Peter, bitte. Ich möchte nicht darüber sprechen.«
Eine Pause. »Du meinst, du möchtest nicht mit mir darüber sprechen.«
»Nicht jetzt. Nicht heute Abend.«
»Aber mit der Polizei wirst du darüber sprechen?«
»Dr. Falco«, sagte Moore. »Es wäre wirklich besser, wenn Sie jetzt gingen.«
»Catherine? Was sagst du?«
Sie hörte an seiner Stimme, wie verletzt er war, doch sie drehte sich nicht zu ihm um. »Ich möchte, dass du gehst. Bitte.«
Er antwortete nicht. Erst als sie die Tür ins Schloss fallen hörte, wusste sie, dass Peter gegangen war.
Dann war es lange Zeit still.
»Sie haben ihm nichts von Savannah erzählt?«, fragte Moore.
»Nein. Ich konnte mich nie überwinden, es ihm zu sagen.« Das Thema
Weitere Kostenlose Bücher