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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Gehsteig in dem Viertel von South End, wo Elena Ortiz gewohnt hatte. Früher einmal war dies eine Straße voller abgetakelter Pensionen gewesen, ein schäbiges Vorstadtviertel, durch die Eisenbahnschienen von der attraktiveren Nordhälfte Bostons abgeschnitten. Aber eine wachsende Großstadt ist ein gefräßiges Ungetüm, ständig auf der Suche nach neuem Bauland, und Bahnschienen sind kein Hindernis für die begierigen Blicke von Bauunternehmern. Eine neue Generation von Bostonern hatte das South End entdeckt, und die alten Pensionen wurden nach und nach in Apartments umgewandelt.
    Elena Ortiz hatte in einem solchen Haus gewohnt. Die Aussicht von ihrer Wohnung im ersten Stock war zwar keineswegs berauschend – durch die Fenster erblickte man einen Waschsalon auf der anderen Straßenseite –, doch das Haus bot einen Luxus, den man in Boston sonst nur selten geboten bekam: Anwohnerparkplätze, die in der angrenzenden Seitenstraße auf engstem Raum eingerichtet worden waren.
    Moore bog jetzt in diese Seitenstraße ein und ließ den Blick über die Fenster der Wohnungen schweifen. Er fragte sich, wer in diesem Moment wohl auf ihn herabblickte. Nichts rührte sich hinter den Scheiben. Die Mieter, deren Wohnungen auf diese Gasse hinausgingen, waren alle bereits vernommen worden; keiner hatte irgendwelche brauchbaren Hinweise geliefert.
    Er blieb unter Elena Ortiz’ Badezimmerfenster stehen und starrte die Feuerleiter an, die zu dem Fenster hochführte. Die Leiter war hochgezogen und in dieser Position verriegelt. In der Nacht, als Elena Ortiz ermordet worden war, hatte der Wagen eines Anwohners direkt unter der Feuerleiter geparkt. Später hatte man Abdrücke von Schuhen der Größe 42 auf dem Dach des Autos gefunden. Der unbekannte Täter hatte es benutzt, um die Feuerleiter zu erreichen.
    Er sah, dass das Badezimmerfenster geschlossen war. In der Mordnacht war es nicht verriegelt gewesen.
    Er trat wieder aus der Seitenstraße heraus, bog um die Ecke und betrat das Gebäude durch den Vordereingang.
    Schlaffe Luftschlangen von gelbem Absperrband umflatterten Elena Ortiz’ Wohnungstür. Er schloss auf, und das Fingerabdruck-Pulver blieb wie Ruß an seinen Händen kleben. Das lose Band glitt über seine Schulter, als er in die Wohnung trat.
    Das Wohnzimmer sah noch so aus, wie er es von seinem Rundgang mit Rizzoli am Vortag in Erinnerung hatte. Es war ein unerfreulicher Termin gewesen; er hatte gespürt, wie ihre Rivalität unter der Oberfläche brodelte. Im Fall Ortiz hatte Rizzoli von Anfang an die Leitung gehabt, aber sie war so unsicher, dass sie sich bedroht fühlte, sobald irgendjemand ihre Autorität in Frage stellte, insbesondere wenn dieser Jemand ein älterer männlicher Kollege war. Obwohl sie nun zum selben Team gehörten, einem Team, das sich inzwischen auf fünf Beamte vergrößert hatte, kam sich Moore wie ein Eindringling in ihrem Revier vor, dabei hatte er peinlich darauf geachtet, seine Anregungen so diplomatisch wie möglich zu formulieren. Er hatte keine Lust, sich auf einen Kampf der Egos einzulassen, und dennoch war es zum Kampf gekommen. Gestern hatte er sich bemüht, seine Aufmerksamkeit auf den Tatort zu richten, doch ihr unterschwelliger Groll hatte die Seifenblase seiner Konzentration immer wieder zum Platzen gebracht.
    Erst jetzt, da er allein war, konnte er seine ganze Aufmerksamkeit der Wohnung widmen, in der Elena Ortiz gestorben war. Im Wohnzimmer erblickte er eine Ansammlung nicht zueinander passender Möbel, die um einen Beistelltisch aus Korbgeflecht arrangiert waren. In der Ecke ein PC, am Boden ein beigefarbener Teppich mit einem Muster aus Ranken und rosafarbenen Blüten. Laut Rizzoli war seit dem Mord nichts bewegt oder verändert worden. Das Tageslicht, das durch die Fenster fiel, schwand zusehends, doch er schaltete kein Licht ein. Lange stand er da, ohne auch nur den Kopf zu bewegen, und wartete, bis vollkommene Stille sich auf den Raum herabgesenkt hatte. Er hatte vorher noch keine Gelegenheit gehabt, den Tatort allein aufzusuchen; es war also das erste Mal, dass er ohne die Ablenkung durch die Stimmen und Gesichter der Lebenden in diesem Zimmer stand. Er malte sich aus, wie die Luftmoleküle, die sein Eintreten durcheinander gewirbelt hatte, sich allmählich beruhigten und langsamer dahintrieben. Er wollte, dass das Zimmer zu ihm sprach.
    Er spürte nichts. Kein Gefühl der Gegenwart des Bösen, kein Nachbeben der Schrecken, die sich hier abgespielt hatten.
    Der Täter war

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