Die Chirurgin
ein Streifenwagen vor Ihrem Haus stehen. Haben Sie Ihre neuen Schlüssel bekommen?«
Sie nickte. »Der Schlosser hat sie vorbeigebracht. Er sagte, er habe den Rolls-Royce unter den Sicherheitsschlössern eingebaut.«
»Sie werden keine Probleme bekommen, Catherine.«
Sie sah auf ihre Kaffeetasse herab. »Diese Botschaft war für mich bestimmt.«
»Das wissen wir nicht.«
»Ich hatte gestern Geburtstag. Das wusste er. Und er wusste, dass ich für den Bereitschaftsdienst eingetragen war.«
» Wenn er derjenige ist, der das geschrieben hat.«
»Erzählen Sie mir doch nichts. Sie wissen, dass er es war.«
Nach einer kurzen Pause nickte Moore. Sie saßen einen Augenblick lang schweigend da. Es war schon spät am Nachmittag, und nur noch wenige Tische waren besetzt. Hinter der Theke wurden die Servierschüsseln weggeräumt, und Dampf stieg in dünnen Wölkchen auf. Eine einsame Kassiererin brach eine neue Rolle Münzen auf, die prasselnd in die Kassenschublade fielen.
»Was ist mit meinem Büro?«, fragte sie.
»Er hat keine Fingerabdrücke hinterlassen.«
»Sie haben also nichts gegen ihn in der Hand.«
»Wir haben gar nichts«, gestand er.
»Er kommt immer wieder in mein Leben hereingeweht wie ein Luftzug. Niemand sieht ihn. Niemand weiß, wie er aussieht. Ich könnte alle meine Fenster vergittern und hätte trotzdem noch Angst vor dem Einschlafen.«
»Sie müssen nicht in Ihre Wohnung zurückgehen. Ich bringe Sie in ein Hotel.«
»Es spielt keine Rolle, wohin ich mich verkrieche. Er wird wissen, wo ich bin. Aus irgendeinem Grund hat er mich auserkoren. Er hat mich wissen lassen, dass ich die Nächste sein werde.«
»Das glaube ich nicht. Es wäre ein unglaublich dummer Einfall von ihm, sein nächstes Opfer zu warnen. Der Chirurg ist nicht so dumm.«
»Warum hat er Kontakt mit mir aufgenommen? Warum sollte er mir auf diese Weise eine Nachricht …« Sie schluckte.
»Er könnte uns damit herausgefordert haben. Es könnte seine Art sein, die Polizei zu verhöhnen.«
»Dann hätte der Scheißkerl an Sie schreiben müssen!«
Ihre Stimme schallte so laut, dass eine Schwester, die sich gerade Kaffee einschenkte, sich umdrehte und sie anstarrte.
Errötend stand Catherine auf. Sie schämte sich für ihren Gefühlsausbruch und sagte kein Wort, während sie gemeinsam das Krankenhaus verließen. Er hätte gerne ihre Hand ergriffen, doch er dachte, sie würde sie ohnehin wegziehen, weil sie seine Geste als herablassend deuten würde. Auf keinen Fall wollte er sie glauben machen, dass er sie bevormundete. Sie nötigte ihm Respekt ab wie keine andere Frau, die er je gekannt hatte.
Als sie in seinem Wagen saßen, sagte sie leise: »Mir sind da drin ein bisschen die Nerven durchgegangen. Tut mir Leid.«
»Das wäre doch jedem in der Situation so gegangen.«
»Aber nicht Ihnen.«
Sein Lächeln war ironisch: »Nein, ich bin natürlich immer die Ruhe selbst.«
»Ja, das habe ich auch schon gemerkt.«
Und was heißt das denn?, fragte er sich, während sie in Richtung Back Bay fuhren. Dass sie glaubte, er sei immun gegen die Stürme, die ein normales Menschenherz in Aufruhr versetzen? Seit wann schlossen klares, logisches Denken und Gefühle einander aus? Er wusste, dass seine Kollegen im Morddezernat ihn Sankt Thomas, den Unerschütterlichen nannten. Er war der Mann, an den man sich wandte, wenn eine Situation zu eskalieren drohte und eine ruhige Stimme gefragt war. Sie kannten den anderen Thomas Moore nicht, den Mann, der nachts vor dem Kleiderschrank seiner Frau stand und den schwächer werdenden Duft ihrer Kleider einatmete. Sie sahen nichts als die Maske, die er ihnen zu sehen gestattete.
Es lag eine Spur von Unmut in ihrer Stimme, als sie sagte: »Sie haben ja auch Grund, ruhig und gelassen zu sein. Sie sind ja nicht derjenige, auf den er fixiert ist.«
»Versuchen wir doch, die Sache rational zu betrachten …«
»Meinen eigenen Tod rational betrachten? Natürlich kann ich das, kein Problem.«
»Der Chirurg geht nach einem Muster vor, das ihm zusagt. Er greift in der Nacht an, nie am Tag. Im Innersten ist er ein Feigling, der es nicht fertig bringt, einer Frau unter fairen Bedingungen gegenüberzutreten. Er braucht ein hilfloses Opfer. Er will, dass sein Opfer im Bett liegt und schläft, sodass es sich nicht wehren kann.«
»Ich darf also nie mehr einschlafen? Das ist ja eine einfache Lösung.«
»Was ich sagen will, ist, dass er es vermeiden wird, bei Tag anzugreifen, wenn das Opfer in der Lage ist,
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