Die Chirurgin
gehetzter Stimme, im Hintergrund ist das Klappern von Tabletts zu hören. Das Abendessen steht an, und sie hat keine Zeit für einen gemütlichen Plausch.
» Hier ist Fünf West«, lüge ich. » Ich fürchte, wir haben bei zweien unserer Patienten die Diätanweisungen vertauscht. Können Sie mir sagen, welche Diät Sie für Zimmer 538 vermerkt haben? «
Es tritt eine Pause ein, während sie auf ihrer Computertastatur tippt und die Information aufruft.
» Klare Flüssignahrung « , antwortet sie. » Ist das korrekt! «
» Ja, das ist korrekt. Danke. « Ich lege auf.
In der Zeitung hieß es heute Morgen, Nina Peyton liege immer noch im Koma und ihr Zustand sei kritisch. Das entspricht nicht der Wahrheit. Sie ist wach.
Catherine Cordell hat ihr das Leben gerettet. Ich wusste es.
Eine Assistentin kommt auf meinen Arbeitsplatz zu und stellt ihr Tablett voller Blutröhrchen auf der Arbeitsfläche ab. Wir lächeln uns an, wie wir es jeden Tag tun, zwei freundliche Kollegen, die nur das Beste voneinander annehmen, weil sie keinen Grund haben, daran zu zweifeln. Sie ist jung, mit festen, hohen Brüsten, die sich wie Melonen unter ihrem weißen Kittel abzeichnen, und mit schönen, geraden Zähnen. Sie greift nach einem Stapel neuer Laboranweisungen, winkt mir zu und geht zur Tür hinaus. Ich frage mich, ob ihr Blut wohl salzig schmeckt.
Die Apparate summen und gluckern vor sich hin, ein endloses Wiegenlied.
Ich gehe zum Computer und rufe die Patientenliste von Station 5 West auf. Auf dieser Station gibt es zwanzig Zimmer, die in der Form eines H angelegt sind; die Stationszentrale befindet sich im Querbalken des H. Ich gehe die Patientenliste durch, insgesamt dreiunddreißig Namen, und lese die Angaben zu Alter und Diagnose. Beim zwölften Namen bleibe ich hängen. Zimmer 521.
» Mr. Herman Gwadowski, 69 Jahre. Behandelnde Ärztin: Dr. Catherine Cordell. Diagnose: postop. Notfall-Laparotomie wg. multipler Abdominaltraumata. «
Der Flur, auf dem Zimmer 521 liegt, verläuft parallel zu Nina Peytons Flur. Von 521 aus kann man Ninas Zimmer nicht sehen.
Ich klicke Mr. Gwadowskis Namen an und gehe in die Datei mit seinen Laborwerten. Er ist schon zwei Wochen im Krankenhaus, und seine Werte füllen Seite um Seite. Ich kann seine Arme vor mir sehen, die Ellenbeugen voller Einstiche und Blutergüsse. Aus seinem Blutzuckerspiegel ersehe ich, dass er Diabetiker ist. Der hohe Anteil weißer Blutkörperchen deutet darauf hin, dass er an irgendeiner Infektion leidet. Ich sehe auch, dass Kulturen von einem Abstrich aus einer Wunde am Fuß angelegt wurden. Die Diabetes hat die Durchblutung seiner Gliedmaßen beeinträchtigt, und das Fleisch seiner Beine wird schon nekrotisch. Und dann sehe ich noch, dass eine Kultur von einem Abstrich an der Einstichstelle für den zentralvenösen Zugang gemacht wurde.
Ich wende mich seinen Elektrolytwerten zu. Seine Kaliumwerte sind stetig gestiegen. Vor zwei Wochen noch 4,5. Letzte Woche 4,8. Und gestern 5,1. Er ist alt, und seine Nieren haben Mühe, die alltäglichen Giftstoffe auszuscheiden, die sich im Blut ansammeln. Giftstoffe wie Kalium.
Es wird nicht viel nötig sein, um ihm den Rest zu geben.
Ich bin Mr. Herman Gwadowski nie begegnet – jedenfalls nicht persönlich. Ich gehe zu dem Ständer mit Blutproben, der die ganze Zeit auf der Arbeitsfläche gestanden hat, und sehe mir die Etiketten an. Die Proben stammen aus 5 Ost und West, und es befinden sich 24 Röhrchen in den diversen Halterungen. Ich stoße auf eines mit rotem Verschluss aus Zimmer 521 . Es ist Mr. Gwadowskis Blut.
Ich nehme das Röhrchen in die Hand und betrachte es eingehend, indem ich es ans Licht halte und es langsam hin und her wende. Es ist nicht geronnen, und die Flüssigkeit sieht dunkel und brackig aus, als ob die Nadel nicht Mr. Gwadowskis Vene durchstoßen hätte, sondern in einen abgestandenen Tümpel eingetaucht wäre. Ich öffne das Röhrchen und schnuppere daran. Ich wittere den Harngeruch des Alters, den süßlichen Hautgout der Infektion. Ich rieche einen Körper, dessen Verfall bereits begonnen hat, obwohl das Gehirn noch zu leugnen sucht, dass die Hülle, die es umgibt, im Sterben liegt.
Auf diese Weise mache ich Bekanntschaft mit Mr. Gwadowski.
Die Freundschaft wird nicht von langer Dauer sein.
Angela Robbins war eine gewissenhafte Krankenschwester, und es beunruhigte sie, dass Herman Gwadowskis Zehn-Uhr-Dosis Antibiotika noch nicht da war. Sie ging zur Stationszentrale von 5 West und sagte zu
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