Die Chirurgin
hielt. Aber übermäßig freundlich musste sie zu ihm auch nicht sein. Also nickte sie bloß und setzte ihre Arbeit fort.
»Wie geht es ihm?«, fragte Ivan Gwadowski.
»Unverändert.« Ihre Stimme war kühl und geschäftsmäßig. Sie wünschte, er würde wieder verschwinden, würde auf seine kleine Demonstration von Mitgefühl verzichten und sie in Ruhe ihre Arbeit erledigen lassen. Sie besaß genug Menschenkenntnis, um zu begreifen, dass Liebe kaum der wichtigste Grund war, weshalb dieser Sohn am Krankenbett seines Vaters auftauchte. Er hatte die Sache an sich gerissen, weil das so seine Gewohnheit war, und er würde nie zulassen, dass irgendjemand ihm das Heft aus der Hand nahm. Nicht einmal der Tod.
»War die Ärztin schon bei ihm?«
»Dr. Cordell macht jeden Morgen Visite.«
»Was sagt sie dazu, dass er immer noch im Koma liegt?«
Angela legte den Waschlappen in die Schüssel, richtete sich auf und blickte ihn an. »Ich weiß nicht recht, was man dazu sagen soll, Mr. Gwadowski.«
»Wie lange wird er noch in diesem Zustand sein?«
»So lange, wie Sie es zulassen.«
»Was soll das heißen?«
»Denken Sie nicht auch, dass es besser wäre, ihn gehen zu lassen?«
Ivan Gwadowski starrte sie an. »Ja, das macht es für alle leichter, was? Und außerdem wird so wieder ein Bett frei.«
»Deswegen habe ich das nicht gesagt.«
»Ich weiß, wie Krankenhäuser heutzutage finanziert werden. Wenn ein Patient zu lange ein Bett blockiert, bleiben Sie auf den Kosten sitzen.«
»Ich rede nur davon, was das Beste für Ihren Vater ist.«
»Das Beste wäre, wenn das Krankenhaus seine Arbeit machen würde.«
Bevor sie etwas sagen konnte, was sie anschließend bedauern würde, drehte Angela sich um und fischte den Waschlappen aus der Schüssel, um ihn mit zitternden Händen auszuwringen. Lass dich auf keine Diskussionen mit ihm ein. Mach einfach nur deine Arbeit. Er ist einer von der Sorte, die mit so was gleich zum Chef rennen.
Sie legte den feuchten Lappen auf den Bauch des Patienten. Erst in diesem Moment fiel ihr auf, dass der alte Mann nicht mehr atmete.
Sofort schoss ihre Hand zu seinem Hals, um nach einem Puls zu tasten.
»Was ist denn?«, fragte der Sohn. »Fehlt ihm was?«
Sie antwortete nicht. Sie ließ ihn einfach stehen und rannte hinaus auf den Flur. »Code Blau!«, rief sie. »Gib sofort Code Blau durch, Zimmer 521!«
Catherine stürzte aus Nina Peytons Zimmer und bog um die Ecke in den nächsten Flur. In Zimmer 521 drängte sich das Personal bereits bis auf den Gang hinaus, wo ein Grüppchen von Medizinstudenten stand. Sie reckten die Hälse und starrten mit weit aufgerissenen Augen durch die Tür, um ja nichts zu verpassen.
Catherine drängte sich an ihnen vorbei in das Zimmer und rief über das chaotische Treiben hinweg: »Was ist passiert?«
»Er hat aufgehört zu atmen!«, antwortete Angela, Mr. Gwadowskis Krankenschwester. »Kein Puls!«
Catherine arbeitete sich zum Bett vor und sah, dass eine andere Schwester dem Patienten bereits eine Maske aufs Gesicht gedrückt hatte und nun Sauerstoff in die Lungen pumpte. Ein AiP hatte beide Hände auf den Brustkorb gelegt, und mit jedem Druck auf das Brustbein presste er Blut aus dem Herzen heraus und pumpte es durch Arterien und Venen in die Organe und in das Gehirn.
»EKG angeschlossen!«, rief irgendwer.
Catherine warf einen hastigen Blick auf den Monitor. Die Kurve zeigte Kammerflimmern an. Die Herzkammern zogen sich nicht mehr richtig zusammen. Stattdessen zitterten nur einzelne Muskeln, und das Herz hatte sich in einen nutzlosen, schlaffen Beutel verwandelt.
»Defibrillator geladen?«, fragte Catherine.
»Einhundert Joule.«
»Also los dann!«
Die Schwester setzte die Elektroden auf die Brust des Patienten und rief: »Alles zurücktreten!«
Die Elektroden entluden sich, und ein Stromstoß wurde durch den Herzmuskel gejagt. Der Rumpf des alten Mannes hüpfte von der Matratze in die Höhe wie eine Katze auf einer heißen Herdplatte.
»Immer noch Kammerflimmern!«
»Ein Milligramm Adrenalin i.V., dann noch mal mit einhundert schocken«, befahl Catherine.
Das Adrenalin glitt durch den zentralen Venenkatheter.
»Zurück!«
Wieder ein Stromstoß aus den Elektroden, und wieder zuckte der Rumpf zusammen.
Die Herzkurve auf dem Monitor machte einen Satz nach oben und fiel dann wieder zu einer flachen, oszillierenden Linie ab. Die letzten Zuckungen eines sterbenden Herzens.
Catherine blickte auf ihren Patienten herab und dachte: Wie soll
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