Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2
nieder, mit einem Becher Wein in der Hand.
»Kannst du das trinken?« fragte sie ihn leise.
Raistlin schüttelte den Kopf, versuchte zu sprechen, hustete und schob ihre Hand weg. Goldmond sah zu Tanis hoch. »Vielleicht – mein Stab?« fragte sie.
»Nein«, röchelte Raistlin. Er bedeutete Tanis, näher zu kommen. Selbst als Tanis neben ihm saß, konnte er kaum die Worte des Magiers verstehen; seine Sätze wurden von Keuchen und Hustenanfällen unterbrochen. »Der Stab wird mich nicht heilen, Tanis«, flüsterte er. »Verschwende seine Kraft nicht für mich.Wenn es ein gesegneter Gegenstand ist... ist seine heilige Macht begrenzt. Mein Körper war der Preis... für meine Magie. Dieser Schaden ist unwiderruflich. Nichts kann helfen...« Seine Stimme erstarb, er schloß die Augen.
Das Feuer flackerte plötzlich auf, als Wind in die Höhle zog. Tanis sah auf: Sturm zog den Busch beiseite und betrat die Höhle. Er stützte Flint, der auf unsicheren Füßen hereinstolperte. Sturm setzte ihn neben dem Feuer ab. Beide waren völlig durchnäßt. Sturm war in bezug auf den Zwerg mit seiner Geduld völlig am Ende und, wie Tanis schien, mit der ganzen
Gruppe. Tanis beobachtete ihn besorgt. Er erkannte die Zeichen einer tiefen Depression, die den Ritter manchmal überwältigte. Sturm liebte das Ordentliche, das Disziplinierte. Das Verschwinden der Sterne – die Störung der natürlichen Ordnung der Dinge – hatte ihn schwer getroffen.
Tolpan legte eine Decke über den Zwerg, der auf dem Höhlenboden niederkauerte; seine Zähne klapperten so sehr, daß sein Helm rappelte. »Sch-sch-schiff ...« konnte er nur noch sagen. Tolpan goß ihm einen Becher Wein ein, den der Zwerg gierig leerte.
Sturm sah Flint voller Abscheu zu. »Ich übernehme die erste Wache«, sagte er und ging wieder zum Höhleneingang.
Flußwind erhob sich. »Ich werde dich begleiten«, sagte er schroff.
Sturm runzelte die Stirn, dann drehte er sich langsam zu dem Barbar um. Tanis konnte das Gesicht des Ritters erkennen, im Schein des Feuers war es wie ein Relief geschnitten, dunkle Linien gruben sich um den harten Mund. Obwohl der Ritter kleiner war, ließen sein edles Auftreten und seine Standfestigkeit ihn dem Barbar ebenbürtig erscheinen.
»Ich bin ein Ritter von Solamnia«, sagte Sturm. »Mein Schwert ist meine Ehre, und meine Ehre ist mein Leben. Ich habe im Gasthaus mein Wort gegeben, daß ich Euch und Eure Dame beschützen werde. Falls Ihr Euch entscheidet, mein Wort anzuzweifeln, bezweifelt Ihr meine Ehre und beleidigt mich. Ich kann nicht dulden, daß diese Beleidigung im Raum stehenbleibt.«
»Sturm!«Tanis war auf den Füßen.
Der Ritter, der seine Augen auf den Barbar gerichtet hielt, hob seine Hand. »Misch dich nicht ein, Tanis«, sagte Sturm. »Nun, wie sollen wir es austragen – Schwerter, Messer? Wie kämpft ihr Barbaren?«
Flußwinds unerschütterlicher Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Er betrachtete den Ritter aufmerksam mit seinen dunklen Augen. Dann sprach er, wobei er seine Worte sorgfältig wählte. »Ich wollte Eure Ehre nicht in Frage stellen. Ich
kenne die Menschen und ihre Städte nicht, und ich sage es geradeheraus – ich habe Angst. Es ist meine Angst, die mich so sprechen läßt. Ich habe Angst, seitdem man mir den blauen Kristallstab übergeben hat. Und vor allem habe ich Angst um Goldmond.« Der Barbar sah zu der Frau hinüber. »Ohne sie werde ich sterben. Wie soll ich Vertrauen ...« Seine Stimme versagte. Seine gleichmütige Maske brach zusammen, und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz und Müdigkeit. Seine Knie sackten zusammen, und er fiel vornüber. Sturm fing ihn auf.
»Du hast recht«, sagte der Ritter. »Ich verstehe. Du bist müde und krank.« Tanis half ihm, den Barbar im hinteren Teil der Höhle hinzulegen. »Ruhe dich aus. Ich werde Wache halten.« Der Ritter schob sich an dem Busch vorbei, und ohne ein weiteres Wort zu sagen, trat er in den Regen hinaus.
Goldmond hatte der heftigen Auseinandersetzung schweigend zugehört. Jetzt kniete sie an Flußwinds Seite. Er legte seinen Arm um sie und hielt sie dicht an sich, sein Gesicht in ihr silbriggoldenes Haar vergraben. In Flußwinds Fellumhang eingehüllt, schliefen sie bald ein, Goldmonds Kopf ruhte auf seiner Brust.
Tanis atmete erleichtert auf und wandte sich wieder Raistlin zu. Der Magier war in einen unruhigen Schlaf gefallen. Manchmal murmelte er seltsame Worte in der Sprache der Magie, seine Hand griff nach dem Stab. Tanis
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