Die Chronik der Drachenlanze 3 + 4
das würde er«, antwortete Laurana leise. »Er würde es verstehen. Er sagte mir einst, daß eine Zeit kommt, wo du dein Leben für eine Sache riskierst, die dir mehr bedeutet als das Leben.Verstehst du nicht, Sturm? Wenn ich mich in Sicherheit begebe, meine Freunde zurücklasse, würde er sagen, daß er das versteht. Aber tief innen würde er es nicht verstehen.Weil es so weit von dem entfernt ist, was er selber tun würde.Außerdem«, sie lächelte, »selbst wenn es keinen Tanis in dieser Welt gäbe, könnte ich meine Freunde nicht im Stich lassen.«
Sturm sah in ihre Augen und erkannte, daß er sie nicht überreden konnte. Schweigend hielt er sie fest. Sein anderer Arm ging zu Flints Schulter und zog den Zwerg näher.
Tolpan, der plötzlich in Tränen ausbrach, stand auf und schlang sich um sie und schluchzte wild. Sie starrten ihn erstaunt an.
»Tolpan, was ist los?« fragte Laurana beunruhigt.
»Es ist alles meine Schuld! Eine habe ich schon zerbrochen! Bin ich denn verdammt, in der Welt herumzulaufen und diese Dinge zu zerbrechen?« wimmerte Tolpan wirr.
»Beruhige dich«, sagte Sturm streng. Er schüttelte den Kender. »Wovon redest du überhaupt?«
»Ich habe noch eine gefunden«, blubberteTolpan. »Ganz unten in einer großen, leeren Kammer.«
»Noch eine was, du Dummkopf?« fragte Flint wütend.
»Noch eine Kugel der Drachen!« plärrte Tolpan.
Die Nacht legte sich wie ein dichter, schwerer Nebel über den Turm. Die Ritter hielten schweigsam Wache auf den Zinnen, strengten sich an, etwas zu hören oder zu sehen – irgend etwas...
Dann, es war schon fast Mitternacht, zuckten sie zusammen, als sie etwas hörten, nicht die siegreichen Rufe ihrer Kameraden oder die flachen, gellenden Hörner des Feindes, sondern das Klingeln von Pferdegeschirr, das leise Wiehern von Pferden, die sich der Festung näherten.
Die Ritter eilten zum Rand der Zinnen und hielten die Fackeln nach unten in den Nebel. Langsam kamen die Hufschläge zum Halten.
Sturm stand innen am Tor. »Wer reitet zum Turm des Oberklerikers?« rief er.
Eine einzige Fackel flackerte auf. Laurana, die in die neblige Dunkelheit starrte, fühlte ihre Knie schwach werden und klammerte sich an die Steinwand. Die Ritter schrien entsetzt auf.
Der Reiter, der die Fackel hielt, war in die glänzende Rüstung eines Offiziers der Drachenarmee gekleidet. Er war blond, seine Gesichtszüge waren gutaussehend, kalt und grausam. Er führte ein zweites Pferd mit sich, über das zwei Körper geworfen waren – einer von ihnen war ohne Kopf, der andere blutig und entstellt.
»Ich habe deine Offiziere zurückgebracht«, sagte der Mann, seine Stimme klang barsch und schmetternd. »Einer ist tot, wie du sehen kannst.Aber der andere lebt wohl noch. Oder lebtejedenfalls, bevor ich losritt. Ich hoffe, er lebt noch, damit er dir erzählen kann, was sich heute auf dem Schlachtfeld zugetragen hat, wenn man es überhaupt als Schlacht bezeichnen kann.«
Im Licht seiner Fackel stieg der Offizier vom Pferd. Er begann, die Körper abzubinden. Dann blickte er hoch.
»Ja, ihr könntet mich jetzt töten. Ich stelle ein gutes Ziel dar, selbst im Nebel. Aber das werdet ihr nicht. Ihr seid Ritter von Solamnia«, sein Sarkasmus war beißend. »Die Ehre ist euer Leben. Ihr würdet nicht auf einen unbewaffneten Mann schießen, der die Körper eurer Führer zurückbringt.« Er zerrte an den Seilen. Der Körper ohne Kopf glitt zu Boden. Der Offizier zog den anderen Körper aus dem Sattel. Er warf die Fackel in den Schnee neben die Körper. Sie zischte und erlosch, und die Dunkelheit verschluckte den Mann.
»Draußen auf dem Feld habt ihr ein Übermaß an Ehre«, rief er. Die Ritter konnten das Leder knirschen und seine Rüstung klimpern hören, als er sein Pferd bestieg. »Ich gebe euch bis morgen Zeit, um euch zu ergeben.Wenn die Sonne aufgeht, holt eure Flagge ein. Die Drachenfürstin wird gnädig mit euch verhandeln...«
Plötzlich spannte sich ein Bogen, ein Pfeil surrte durch die Luft und traf auf Fleisch. Von unten hörte man ein erschrockenes Fluchen. Die Ritter drehten sich um und starrten erstaunt auf eine einsame Gestalt an der Mauer mit einem Bogen in der Hand.
»Ich bin kein Ritter«, rief Laurana und senkte ihren Bogen. »Ich bin Lauralanthalasa, Tochter der Qualinesti.Wir Elfen haben unseren eigenen Ehrenkodex, und du weißt sicherlich, daß ich dich ganz gut in der Dunkelheit erkennen kann. Ich hätte dich töten können. So wie es aussieht, wirst du
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