Die Chronik der Drachenlanze 3 + 4
werden für ihren Vater tun, was in unserer Macht steht.«
»Mit mir ist alles in Ordnung, mein Bruder«, beantwortete Raistlin Caramons besorgten Blick. »Tu, was Tanis gesagt hat.«
»Komm, Alhana«, drängte Tanis sie und half ihr beim Aufstehen. Sie erhob sich, taumelnd vor Müdigkeit. »Wo kannst du dich hier ausruhen? Du mußt dich schonen.«
Zuerst wollte sie sich widersetzen, aber dann wurde ihr klar, wie schwach sie war. »Bring mich in das Zimmer meines Vaters«, sagte sie. »Ich zeige dir den Weg.« Caramon legte seinen Arm um sie, und langsam verließen sie das Zimmer.
»Was ist los?« fragte der Halb-Elf ruhig. »Ist er tot?«
»Wer?« Raistlin schreckte hoch und blinzelte. Er sah, daß Tanis Lorac musterte. »Oh, Lorac? Nein, das glaube ich nicht. Noch nicht.«
Tanis wurde bewußt, daß der Magier die Kugel der Drachen angestarrt hatte.
»Hat die Kugel immer noch die Kontrolle?« fragte Tanis nervös, seine Augen auf den Gegenstand gerichtet, dessentwegen sie so viel durchgemacht hatten.
Die Kugel der Drachen war eine riesige Kristallkugel mit einem Durchmesser von mindestens sechzig Zentimetern. Sie stand auf einem Goldgestell, das mit grauenhaften, verzerrten Bildern versehen war, die das grauenhafte, verzerrte Leben in Silvanesti widerspiegelten. Obwohl die Kugel die Quelle des strahlenden grünen Lichts gewesen sein mußte, gab sie jetzt nur noch ein schwaches, schillerndes, pulsierendes Glimmen von sich.
Raistlins Hand fuhr über die Kugel, aber Tanis bemerkte, daß er vorsichtig genug war, sie nicht zu berühren, als er magische Worte sang. Eine schwache rötliche Aura begann die Kugel zu umflimmern.Tanis wich zurück.
»Fürchte dich nicht«, flüsterte Raistlin, der beobachtete, wie die Aura erlosch. »Es ist mein Zauberspruch. Die Kugel ist immer noch verzaubert. Ihre Magie ist mit dem Verschwinden des
Drachen nicht versiegt, wie ich eigentlich gedacht hatte. Sie hat immer noch die Kontrolle.«
»Kontrolle über Lorac?«
»Kontrolle über sich. Lorac hat sie freigegeben.«
»Hast du das getan?« murmelte Tanis. »Hast du sie besiegt?«
»Die Kugel ist nicht besiegt!« erwiderte Raistlin scharf. »Mit fremder Hilfe war ich in der Lage, den Drachen zu besiegen. Die Kugel hat Cyan Blutgeißel weggeschickt, als ihr klarwurde, daß sie verlieren würde. Sie ließ Lorac frei, weil sie ihn nicht länger benutzen konnte. Aber die Kugel ist immer noch sehr mächtig.«
»Raistlin, sag mir...«
»Weiter habe ich nichts zu sagen, Tanis.« Der junge Magier hustete. »Ich muß mit meiner Energie haushalten.«
Welche Hilfe hatte Raistlin erhalten? Was wußte er noch über die Kugel? Tanis öffnete den Mund, um das Thema weiterzuführen, aber er sah Raistlins goldene Augen flackern und schwieg.
»Wir können jetzt Lorac befreien«, fügte Raistlin hinzu. Er ging zum Elfenkönig und entfernte sanft Loracs Hand von der Kugel der Drachen, dann legte er seine schlanken Finger an Loracs Hals. »Er lebt. Zumindest im Moment. Sein Puls ist sehr schwach. Du kannst ruhig näher kommen.«
Aber Tanis, seine Augen auf die Kugel der Drachen gerichtet, blieb zurück. Raistlin blickte den Halb-Elfen amüsiert an, dann winkte er ihn heran.
Widerstrebend trat Tanis näher. »Sag mir nur noch eines – kann die Kugel für uns immer noch von Nutzen sein?«
Lange Zeit sagte Raistlin nichts. Dann erwiderte er zaghaft: »Ja, wenn wir uns trauen.«
Lorac atmete zitternd ein, dann schrie er, ein zarter, wimmernder Aufschrei, entsetzlich zu hören. Seine Hände – nicht viel mehr als lebende Skelettklauen – krümmten sich. Seine Augen waren fest geschlossen. Vergeblich versuchte Tanis ihn zu beruhigen. Lorac schrie, bis er nicht mehr atmen konnte, dann schrie er stumm weiter.
»Vater!« hörte Tanis Alhana rufen. Sie erschien in der Tür des Audienzzimmers und schob Caramon beiseite. Sie lief auf ihren Vater zu und ergriff seine Knochenhände. Sie küßte seine Hände, weinte und bat ihn, sich zu beruhigen.
»Ruh dich aus, Vater«, wiederholte sie immer wieder. »Der Alptraum ist vorbei. Der Drache ist weg. Du kannst schlafen, Vater!«
Aber der Mann schrie weiter.
»Im Namen der Götter!« sagte Caramon, als er mit blassem Gesicht zu ihnen trat. »Ich kann das nicht mehr ertragen.«
»Vater!« bat Alhana weiter. Allmählich durchdrang ihre geliebte Stimme seine verzerrten Träume, die immer noch in Loracs gequältes Bewußtsein lauerten. Langsam versiegten seine Schreie, bis sie nur noch ein
Weitere Kostenlose Bücher