Die Chronik der Drachenlanze 3 + 4
Lippen des Magiers erkennen. Das Blut leuchtete rot in Lunitaris Licht – so rot wie die Robe, die Raistlins zerbrechlichen bebenden Körper bedeckte.
Der Traum.
Tanis öffnete seine Hand. Sie war leer.
Der Traum ist zu Ende - Der Alptraum beginnt
D er Halb-Elf blickte sich im Korridor um. Er war genauso leer wie seine Hand. Die Leichen seiner Freunde waren verschwunden. Der Drache war verschwunden. Wind blies durch eine zerstörte Mauer und ließ Raistlins rote Robe hochfliegen und Espenlaub auf den Boden flattern. Der Halb-Elf fing den jungen Magier in seinen Armen auf, als dieser zusammenbrach.
»Wo sind wir?« fragte Tanis und schüttelte Raistlin. »Laurana? Sturm? Und die anderen... dein Bruder? Sind sie tot?« Er blickte sich um. »Und der Drache...«
»Der Drache ist verschwunden. Die Kugel hat den Drachen weggeschickt, als ihm klarwurde, daß er mich nicht besiegen kann.« Raistlin befreite sich aus Tanis’ Griff und lehnte sich an die Marmorwand. »Er konnte mich nicht besiegen. Aber jetzt könnte ein Kind es schaffen«, sagte er bitter. »Was die anderen betrifft...«, er zuckte die Schultern, »ich weiß es nicht.« Er richtete seine seltsamen Augen auf Tanis. »Du lebst, Halb-Elf, weil deine Liebe stark war. Ich lebe wegen meines Ehrgeizes. Wir hingen selbst mitten im Alptraum an der Wirklichkeit. Wer kann das von den anderen sagen?«
»Dann lebt Caramon auch«, sagte Tanis. »Wegen seiner Liebe. Mit seinem letzten Atemzug bat er mich, dein Leben zu schonen. Sag mir, Magier, war diese Zukunft, die wir gesehen haben, unwiderruflich?«
»Warum fragst du?« fragte Raistlin müde. »Würdest du mich töten,Tanis? Jetzt?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Tanis leise, an Caramons letzte Worte denkend. »Vielleicht.«
Raistlin lächelte bitter. »Spar dir deine Kraft«, sagte er. »Die Zukunft verändert sich, so wie wir hier stehen, sonst wären wir Spielzeuge der Götter und nicht ihre Erben, so wie es uns versprochen wurde. Aber...«, der Magier schob sich von der Wand weg, »... das ist jetzt unwichtig. Wir müssen Lorac finden und die Kugel der Drachen.«
Raistlin schlurfte, auf seinen Zauberstab gestützt, durch den Korridor, sein Kristall erhellte jetzt die Dunkelheit, da das grüne Licht erloschen war.
Das grüne Licht. Tanis stand im Korridor, in Verwirrung verloren, versuchte aufzuwachen, versuchte, den Traum von der Wirklichkeit zu trennen – denn der Traum schien viel realer als die Gegenwart. Er starrte auf die zerstörte Wand. War da wirklich ein Drache gewesen? Und ein blendend grünes Licht am Ende des Korridors? Aber nun war es dunkel. Es war Nacht.Als sie aufgebrochen waren, war es Morgen gewesen. Die Monde waren noch nicht aufgegangen, aber jetzt standen sie voll am Himmel.Wie viele Nächte waren vergangen?Wie viele Tage?
Dann hörte Tanis eine dröhnende Stimme am Ende des Korridors vom Eingang her.
»Raist!«
Der Magier hielt inne, seine Schultern sackten zusammen. Dann drehte er sich langsam um. »Mein Bruder«, flüsterte er.
Caramon – lebendig und augenscheinlich unversehrt – stand im Turmeingang. Er starrte seinen Zwillingsbruder an.
Dann hörte Tanis Raistlin leise seufzen. »Ich bin müde, Caramon.« Der Magier hustete, dann atmete er pfeifend ein. »Und es gibt noch viel zu tun, bevor dieser Alptraum endet, bevor die drei Monde aufgehen können.« Raistlin breitete seine Arme aus. »Ich brauche deine Hilfe, Bruder.«
Tanis hörte Caramon aufschluchzen. Der große Mann rannte in den Korridor, sein Schwert klirrte an seinem Oberschenkel. Er erreichte seinen Bruder und legte seinen Arm um ihn.
Raistlin lehnte sich in Caramons starken Arm. Zusammen gingen die Zwillinge durch den kalten Korridor und durch die zerstörte Wand auf die Zimmertür zu, wo Tanis das grüne Licht und den Drachen gesehen hatte. Sein Herz war schwer von schlimmen Vorahnungen. Er folgte ihnen.
Die drei betraten das Audienzzimmer des Sternenturms. Tanis sah sich neugierig um. Sein ganzes Leben lang hatte er über seine Schönheit gehört. Der Sonnenturm in Qualinost war in Anlehnung an den Sternenturm gebaut worden. Die beiden Türme waren sich ähnlich und doch nicht ähnlich. Einer war mit Licht erfüllt, der andere mit Dunkelheit. Der Mondturm erhob sich in Marmorspiralen, die in einem perlenartigen Licht schimmerten. Er war gebaut worden, um das Mondlicht zu sammeln, während der Sonnenturm das Sonnenlicht einfing. In den Turm eingeschnitzte Fenster waren mit Edelsteinen
Weitere Kostenlose Bücher