Die Chronik der Drachenlanze 3 + 4
versehen, die das Licht der zwei Monde, Solinari und Lunitari, filterten und verstärkten und ihre roten und silbernen Strahlen in der Kammer tanzen ließen. Aber jetzt waren die Edelsteine zerbrochen. Das eindringende Mondlicht war verzerrt, das Silber hatte sich in das blasse Weiß einer Leiche, das Rot in Blutrot verwandelt.
Tanis erbebte und sah direkt nach oben zur Decke. In Qualinost
waren Gemälde an der Decke, die die Sonne, die Konstellationen und die zwei Monde darstellten. Aber hier war nichts außer einem geschnitzten Loch. Durch das Loch konnte man nur die leere Schwärze erkennen. Kein Stern leuchtete. Es war, als ob eine vollkommen runde schwarze Kugel in der sternengeschmückten Dunkelheit erschienen wäre. Bevor er über ihre Bedeutung nachdenken konnte, hörte er Raistlin leise sprechen und drehte sich um.
Dort im Schatten, im vorderen Teil des Audienzzimmers war Alhanas Vater Lorac, der Elfenkönig. Sein zum Skelett abgemagerter Körper verschwand beinahe in einem riesigen Steinthron, in den phantasievoll Vögel und Tiere eingeschnitzt waren. Er mußte einst wunderschön gewesen sein, aber jetzt waren die Tierköpfe zu Schädeln geworden. Lorac saß bewegungslos da, den Kopf zurückgeworfen, sein Mund in einem stummen Schrei geöffnet. Seine Hand ruhte auf einer runden Kristallkugel.
»Lebt er?« fragte Tanis entsetzt.
»Ja«, antwortete Raistlin, »zweifellos zu seinem Leid.«
»Was stimmt nicht mit ihm?«
»Er lebt in einem Alptraum«, erwiderte Raistlin und zeigte auf Loracs Hand. »Das ist die Kugel der Drachen. Offensichtlich versuchte er, die Kontrolle über sie zu gewinnen. Da er nicht stark genug war, gewann aber die Kugel Macht über ihn. Die Kugel rief Cyan Blutgeißel, damit er Silvanesti bewacht, und der Drache entschied, es zu zerstören, indem er Alpträume in Loracs Ohr flüsterte. Loracs Glaube in diese Alpträume war so stark, sein Mitgefühl für sein Land so groß, daß aus dem Alptraum Wirklichkeit wurde. Folglich war es sein Traum, in dem wir lebten, als wir das Land betraten. Sein Traum – und unser eigener. Denn auch wir gerieten unter die Macht des Drachen, als wir Silvanesti betraten.«
»Du wußtest, daß uns das bevorstand«, beschuldigte Tanis Raistlin, packte ihn bei den Schultern und drehte ihn zu sich herum. »Du wußtest, in was wir gehen würden, schon am Flußufer...«
»Tanis«, sagte Caramon warnend und schob die Hand des Halb-Elfen weg. »Laß ihn in Ruhe.«
»Vielleicht«, sagte Raistlin und rieb seine Schulter, seine Augen verengten sich. »Vielleicht nicht. Ich brauche dir nicht mein Wissen oder meine Quellen preiszugeben!«
Bevor er antworten konnte, hörte Tanis ein Stöhnen. Es schien vom Thron zu kommen. Er warf Raistlin einen wütenden Blick zu, wandte sich ab und starrte in die Dunkelheit.Vorsichtig und mit gezogenem Schwert ging er auf den Thron zu.
»Alhana!« Das Elfenmädchen kauerte zu Füßen ihres Vaters, den Kopf in seinem Schoß, und weinte. Sie schien Tanis nicht zu hören. Er ging zu ihr. »Alhana«, sagte er sanft.
Sie sah zu ihm hoch, ohne ihn zu erkennen.
»Alhana«, sagte er wieder.
Sie blinzelte, zuckte dann zusammen und ergriff seine Hand, als ob sie sich an der Wirklichkeit festhalten wollte.
»Halb-Elf!« flüsterte sie.
»Wie bist du hierhergekommen?Was ist geschehen?«
»Ich hörte den Magier sagen, daß es ein Traum wäre«, antwortete Alhana und erbebte bei der Erinnerung. »Und ich weigerte mich, an den Traum zu glauben. Ich wurde wach, aber fand nur, daß der Alptraum Wirklichkeit war! Mein wunderschönes Land vom Grauen erfüllt!« Sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen.Tanis kniete neben ihr nieder und hielt sie fest.
»Ich ging hierher. Es hat Tage gedauert. Durch den Alptraum.« Sie klammerte sich noch fester an Tanis. »Als ich den Turm betrat, fing mich der Drache. Er brachte mich hierher zu meinem Vater, wollte Lorac dazu bringen, mich zu töten. Aber selbst in seinem Alptraum konnte mein Vater seinem Kind nichts antun. Also quälte Cyan ihn mit Visionen – was er alles mit mir anstellen würde.«
»Und du? Hast du sie auch gesehen?« flüsterte Tanis und strich tröstend über ihr langes schwarzes Haar.
Nach einem Moment sprach Alhana weiter. »Es war nicht so schlimm. Ich wußte, daß es nur ein Traum war.Aber für meinen armen Vater war es Realität...« Sie begann zu schluchzen.
Der Halb-Elf machte Caramon ein Zeichen. »Bring Alhana in eine andere Kammer, damit sie sich ausruhen kann.Wir
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